GEBRAUCHSWERT

Kritische Hypothese: Der Begriff ist ein undefinierbares Oximoron und deshalb unbrauchbar. Es suggeriert einen quantifizierbaren Aspekt, der so nicht fassbar ist. Wenn die BVW als Konzept eine Chance haben will, muss der zentrale Begriff Gebrauchswert entweder eine handhabbare Definition bekommen oder durch einen handhabbaren Begriff ersetzt werden. Immerhin sollen auf Grund des Grauchswertes von Gütern Entscheidungen getroffen werden. (HelmutLeitner)

Zitat FranzNahrada: "Fresins Buch steht unter dem Motto: wie sieht eine Ökonomie aus, die tatsächlich am Gebrauchswert der Dinge orientiert ist?"

Zitat FranzNahrada: "Robert Kurz hat darauf hingewiesen, daß die Kategorie des Gebrauchswertes selbst eine sehr flüchtige ist, sozusagen die verständige Abstraktion ist, die in der Warengesellschaft und nur in ihr überhaupt eine Bedeutung annimmt. Eine gesellschaft der es auf den Gebrauchswert ankäme müßte zuallererst die Inhaltsleere dieser Kategorie kritisieren."

Fragen

Frage: In der BVW spielt der Begriff Gebrauchswert eine große Rolle in der Argumentation, wird er doch als Kontrast dem Tauschwert in der MW gegenüber gestellt. Der Gebrauchswert wird jedoch IMHO nicht klar definiert und auch nicht gesagt, wie es zum "Wert", also einer Form von Bemessung kommt. Wie also definiert sich der Gebrauchswert? Wie wird er für einen Liter Milch, ein Buch oder ein Auto handhabbar gemacht? (HelmutLeitner)

Einwände

Einwand : Wenn der Gebrauchswert sich einer Quantifizierung entzieht, so wird er doch zu einem Oxymoron. Ein Wert ist kein Wert ohne Quantität. Oder doch? Mir scheint das einen ersten Kernpunkt der BVW zu berühren, nämlich inwieweit Wirtschaft ein System der Quantifizierung der Qualität (jenseits simpler Mengenermittlung) benötigt.(HelmutLeitner)

Antwort: Mir erscheint das kein so großes Problem; jeder Gebrauchswert ist quantitativ und qualitativ bestimmt. Aber den Gebrauchswert eines Weines bestimmt man nicht auf einer Kardinalskala von Oechslegraden, denn dann wird er irgendwann zu süß. Wirtschaft als System der Quantifizierung hätte zuallererst ein System von Qualitäten zu sein. Im realen Sozialismus ist man auf den Wahn verfallen, das "Wertgesetz bewußt anwenden zu wollen" und wollte dann z.B. Parameter der Produktion einführen die "es" irgendwie messbar machen. Da haben die Betriebe dann schwere Eisenplatten in die Traktoren eingebaut, weil das dem "Wert"-Wahn entgegenkam. Das nannte man dann die "Tonnenideologie". Fresin hat recht, wenn er feststellt: das war ja nicht einmal eine Planwirtschaft, und mit bedürfnisorientierter Versorgung hatte es schon gar nichts zu tun. In diesem Sinn ist das "Wert" in Gebrauchswert schon mit dem externen Bezug zum wertschätzenden Menschen verbunden, aber nicht im Sinne eines Vergleiches auf Skalen, sondern im Sinn von "Bezug zwischen Form und Funktion".(FranzNahrada)

Neuerlicher Einwand: Tut mir leid, aber das scheint mir zu vage. Fast alles ist "quantitativ und qualitativ" bestimmt, das sagt gar nichts. Bleiben wir beim Beispiel Wein: Es ginge darum, ob in einer BVW verschiedene Qualitäten von Wein erzeugt werden und - wenn ja - wie mit Mehraufwand und Qualitätsunterschied in der Produktion und in der Zuteilung umgegangen wird. (HelmutLeitner)

Diskussion

Ein Antwortversuch von Franz Nahrada: Der Gebrauchswert ist in der Tat ein zentraler Begriff. Philosophisch macht er eigentlich erst Sinn in Abhebung und Unterschied zum Tauschwert und damit vom Wert. Diese Unterscheidung wurde erstmals von Aristoteles in der Nikomachischen Ethik in aller Schärfe gemacht. Aristoteles unterscheidet Ökonomie, also die Wissenschaft des ganzen Hauses (Oikos), von der Chrematistik, also der Kunst mit Waren und Geld umzugehen. "Der wahre Reichtum besteht aus solchen (lebensnotwendigen) Gebrauchsgegenständen; denn das zum guten Leben genügende Maß dieser Art von Besitz ist nicht unbegrenzt. Es gibt aber eine zweite Erwerbskunst, die vorzugsweise und mit Recht Chrematistik heißt, infolge deren keine Grenze des Reichtums und Besitzes zu existieren scheint."

Erst durch diese negative Bestimmung und Grenze wird der Begriff des Gebrauchswerts in sich gehaltvoll; er ist eine Kategorie die eigentlich entfaltet gehört, was sich dem Hörensagen nach der junge Hegel in den Jenaenser Frühschriften vorgenommen hat, als er sich ein "System der Arbeiten und der Bedürfnisse" ins Systemprogramm schrieb. Der Gebrauchswert ist im System der Politischen Ökonomie nicht mehr formbestimmend; daher scheitert der Versuch seiner Explikation zu Recht. Er löst sich auf in Warenkunde, die auf Haltbarkeit, Qualität, Echtheit und ähnliche Eigenschaften der Dinge übergeht. Diese aber sind eigentümlich geschieden vom eigentlichen Gebrauch und gehören der Sphäre der Produktion und der Zirkulation an. Sie sind auch nicht einheitlich quantifizierbar, sondern nur qualitativ beschreibbar.

Die Definition einer allgemeinen "Nützlichkeit" von Dingen, wie es die österreichische Schule der Nationalökonomie uund die Grenznutzentheorie versuchte (Pareto, Menger, Böhm-Bawerk), nimmt immer schon auf einen "heimlichen Tausch" bezug.

HelmutLeitner: Könnte man vereinfacht Oikos als "Haushalten und Wirtschaften" und Chrematistik als "Produktion und Handel" betrachten?

FranzNahrada: Auch im Haushalt kommt Produktion vor, die Bestimmung des Unterschieds wäre damit nicht geliefert; der Unterschied ist m.E., ob stets die Werteigenschaft der Produkte Ausgangs- und Endpunkt der Produktion ist. Also: ich habe eine bestimmte Summe Kapital, nämlich 1.000.000 Euro, also überlege ich mir: wie mach ich daraus mehr. Diese Bewegung (schematisch als G-G' bezeichnet) ist das was Aristoteles mit Chrematistik gemeint hat. Zu seiner Zeit war diese Bewegung eigentlich nur als Handelskapital real, aber es gab eben schon die Menschen und Gruppen die die Dinge nicht wegen ihres Gebrauchswerts erwarben, sondern auf Differenzen im Wert spekulierten. Diese waren aber zur damaligen Zeit vor allem durch den Unterschied von lokalen Produktionsbedingungen gegeben. Für Aristoteles stand die Tauschwirtschaft außerhalb der Ökonomie, weil sie gerade das Versagen der Haushalte (Familie, Gemeinschaft) und ihre äußere Abhängigkeit signalisierte. Kapitalistische Produktion hat im Gegensatz dazu die Produktion von Wert zum Ziel; es kommt nicht auf die jeweiligen Gebrauchseigenschaften der Produkte an, sondern darauf, daß sie Träger von Wert sind, und zwar mehr Wert als zu ihrer Produktion investiert werden mußte. Die Produktion bewährt sich daran, daß sie stetig neuen Wert an ihren Ursprung zurückbringt. Selbstverständlich bedeutet das daß die Produkte auch Gebrauchswert sein müssen, aber darin wird die Kategorie des Gebrauchswert geständig: sie besagt eigentlich nur, daß irgendjemand diese Produkte für seinen Gebrauch erwerben und damit nützlich finden muß. Auch Gewehre, Kanonen und Bomben haben einen gebrauchswert: man kann damit schießen und töten. Die kapitalistische Produktion findet statt, insoferne und weil eine zahlungsfähige Nachfrage existiert, die Produkte also ihren Wert im Tausch gegen Geld realisieren können. Wird diese Elementarbedingung nicht geliefert, wird die Produktion oft genug vernichtet, ins Meer gekippt etc. obwohl genug Menschen existieren würden die ein Bedürfnis nach diesen Gütern hätten. Die Produktion ist also gleichgültig gegen das Bedürfnis und am Bedürfnis nur insoferne interessiert, als es ein "zahlungsfähiges" ist; dann aber wird sogar aktiv "Bedürfnis geweckt". Insoferne steht Fresins Buch unter dem Motto: wie sieht eine Ökonomie aus, die tatsächlich am Gebrauchswert der Dinge orientiert ist?

Ob diese Redeweise überhaupt zulässig ist, darin sehe ich das eigentliche Problem. Robert Kurz hat darauf hingewiesen, daß die Kategorie des Gebrauchswertes selbst eine sehr flüchtige ist, sozusagen die verständige Abstraktion ist, die in der Warengesellschaft und nur in ihr überhaupt eine Bedeutung annimmt. Eine gesellschaft der es auf den Gebrauchswert ankäme müßte zuallererst die Inhaltsleere dieser Kategorie kritisieren.

Die moderne Chrematistik wiederum ist dabei, sich vom Element der Produktion zu entsorgen; bei meiner Googlesuche nach dem Wort Chrematistik habe ich ein schönes Zitat gefunden: "Das spekulative Kapital im Bankensystem ist demgegenüber nicht einmal mehr an der Produktion einer Ware interessiert; die zirkuläre Bewegung des spekulativen Kapitals läßt sich wie folgt charakterisieren: Geld – neudeutsch: „Risikoinstrument“ – (mehr) Geld, wobei idealerweise das sogenannte Risikoinstrument oder geldäquivalente derivative Finanzprodukt zu einem risikolosen und zeitunabhängigen (also unmittelbaren, augenblicklichen, sofortigen) Arbitragegewinn innerhalb des Bankensystems führt, so daß sich der Kreis wie folgt beschreiben läßt: Geld – (Recht auf mehr) Geld – (mehr) Geld. Wir haben hier eine Art Suprakapitalismus vorliegen, von dem weder Aristoteles noch Marx etwas ahnen konnten, und der darin besteht, daß sich bestimmte Interessengruppen das Recht auf mehr Geld ganz einfach verbriefen lassen." (http://www.hanjoheyer.de/Briefe17.html) Daran ist allerdings viel wahres dran.

HelmutLeitner: Das ist hochinteressant, hilft dem Begriff Gebrauchswert aber nicht weiter. Ich will nicht, dass wir uns an diesem - zwar wichtigen - Detail festbeißen, aber ich sehe da eine Menge Probleme. Philosophische und kulturhistorische Aspekte scheinen mir die Situation eher zu verschleiern als zu klären. Statt dem Gebrauchswert- oder Wertbegriff Fresins auf die Spur zu kommen, könnten wir uns im Begriffsdickicht von dutzenden verschiedenen Begriffsauffassungen verlieren.

A.F.: Der "Gebrauchswert" ergibt nur Sinn als Gegensatz zum "Tauschwert". Man könnte ihn als "Nutzen" bezeichnen. Dieser bestimmt sich aber subjektiv unterschiedlich. Streng genommen gibt es in einer BVW einen objektiven Wert eines Gutes nicht mehr - weder als Tausch- noch als Gebrauchs- Wert.

HelmutLeitner: Alfred, du suggerierst im Buch, dass der Gebrauchswert ein handhabbarer Begriff wäre, auf Grund dessen Entscheidungen getroffen werden können. Das ist nun offenbar falsch. Damit wird die gesamte BVW zu eine fata morgana ohne reale Substanz. Jedes Wirtschaften muss sinnvolle Entscheidungen und Optimierungen ermöglichen. Nirgendwo wird anerkannt, dass die Marktwirtschaft ein System ist, das auf allen Ebenen, in jeder Entscheidungsebene, Mikrooptimierungen zulässt. Kein Wirtschaftssystem, das diese Funktion nicht erhält, wird als Alternative bestehen können.

A.F.: Nehmen wir dein Beispiel mit der Weinproduktion. Zuerst einmal sollte erhoben werden, wieviel Bedarf an den verschiedenen Weinsorten besteht. Dann wird berechnet, welchen Einsatz von "Material", Arbeitszeit, Arbeitskräfte die Herstellung dieser Produkte erfordert. Sollte sich herausstellen, dass eine Weinsorte kaum gewünscht ist, aber einen hohe zusätzlichen Arbeitsaufwand und eine erhebliche Bindung von Kapazitäten und Ressourcen erfordern würde, dann könnte auch entschieden werden, auf dieses Produkt zu verzichten. Dies sind keine leichten Entscheiungen, zugegeben, das wird im Rahmen der Mitbestimmung in Diskussionen zu beschließen sein.

HelmutLeitner: Da sollen also Verbraucher mehrere Jahre im voraus bekannt geben, welche Weine sie aus dem Regal nehmen werden? Wenn sich nun viele für beste Sorten entscheiden, die sich in der gewünschten Menge nicht produzieren lassen? Wenn italienischer Wein beliebt ist und französischer Wein nicht nachgefragt wird - werden die französischen Weinberge dann stillgelegt und die fachkundigen französischen Winzer nach Italien übersiedelt? Oder werden sie umgeschult? Oder wird der Konsum französischen Weines irgendwie angeregt?

A.F.: Eine weitere Möglichkeit neben der Vorerhebung, die nur einen ungefähren Überblik verschaffen soll, wäre es, die Weinproduktion im vorgegebenen Rahmen beizubehalten und festzuhalten, welche Weine mehr oder weniger stark "nachgefragt" werden. Danach wird dann die Produktion, klarerweise langfristig, angepasst. Ein Diskussionshinweis: Es ist nicht uninteressant, die BVW an konkreten Beispielen durchzudenken, das sollte im Sinne des Modells auch vonstatten gehen. Es gibt bestimmt weitere problematische "Produkte", Arbeiten etc. Ich gebe jedoch zu bedenken, wenn die Grundprinzipien der BVW der Kritik standhalten und vom Großteil akzeptiert sind, dann gibt es für die Detailprobleme sicherlich vernünftige Lösungen, solche, die mir oder anderen Interessierten momentan gar nicht auffallen, bzw. auffallen können, da uns zB. gewisse Techniken (noch) nicht bekannt sind. Ich kann bestimmt derzeit nicht bezüglich aller Details die vernünftigste praktische Umsetzung vorgeben bzw. angeben.

HelmutLeitner: Wenn du die Möglichkeit einer Parallel-BVW-Wirtschaft und evolutionären Entwicklung vorgesehen hättest, würde das angehen. Da du aber auf einer Revolution bestehst, müsste jedes Problem vorher durchdacht und gelöst sein. Gehen wir zurück zum Wein. Jetzt gibt es zum Beispiel 100 Weine im Regal, die sich durch ihre Qualität unterscheiden. Welchen Grund sollte es für die Versorgten geben, zum Beispiel die schlechteren 20% der Weine überhaupt jemals zu nehmen? Die MW regelt das über den Preis, macht eine Sonderaktion um auch Ladenhüter loszubringen. Wie macht das die BVW?

A.F.: Ich bin auch schwer dafür, dass man sich vor einer Revolution überlegt, wo es lang gehen soll - u.a wurde deshalb auch das Buch geschrieben. Doch das bedeutet wiederum nicht, dass jedes spezielle "Produktproblem" vorher ausgeräumt sein muss. Die Lösungen für gewisse Probleme können dann von Spezialistenkomitees erarbeitet werden. Wichtig ist, dass die Grundprinzipien klar sind. Doch lassen wir uns auf das "Weinproblem" ein, um Weinliebhaber von der Revolution zu überzeugen. Erstens wird es ein Prinzip der BVW sein, keine "schlechten" Produkte zu erzeugen. Nun ist der Wein ein Produkt, dass bezüglich der Qualität auf gewissen natürlichen Voraussetzungen beruht, wie zB. Wetter, welche schwer bis überhaupt nicht beeinflussbar sind. Da kann es schon mal zu besseren und schlechteren Jahrgängen, bzw. regionalen Unterschieden kommen. Ja was passiert dann in der BVW? Es gibt dann nur knappe gute Qualität, die auch verteilt wird. Ist diese aufgebraucht, wird nur mehr die mindere Qualität verteilt werden können. Bleiben von diesen Flaschen welche übrig, ergibt sich dadurch kein Versorgungsproblem. Entweder werden sie gelagert, werden für die Produktion anderer Güter verwendet oder werden in andere Planungsregionen geschickt, sofern dort Bedarf besteht. Es könnten qualitativ hochwertige knappe Güter auch für eine gewisse Zeit lang in die Sonderversorgung reingenommen werden. Es gibt kein gravierendes Problem damit in einer BVW im Unterschied zur Marktwirtschaft - da sind Ladenhüter ein Problem, sie schmälern den Umsatz und den Gewinn. Hergeschenkt werden sie aber auf keinen Fall, da werden sie lieber vernichtet, auch wenn ein Mangel besteht (zB. die Lebensmittel, die tagtäglich tonnenweise vernichtet werden, obwohl es ein Leichtes wäre, sie zu den Hungernden zu bringen). Qualität gibts in der Marktwirtschaft nur für ein bestimmtes Zielpublikum, welches sich diese leisten will und kann.

BVW/WertUndGeld/Gebrauchswert (last edited 2006-01-12 08:54:34 by AlfredFresin)

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