Allgemeine Kritikpunkte und Antworten des Autors:

Populismus

Einer Klientel nach dem Munde geredet. Das Buch ist offenbar für eine bestimmte Klientel geschrieben. Die Eckpunkte: Revolution, Abschaffung von Privateigentum, Geld und Staat werden als Eckpunkte festgelegt, obwohl all dies konkret kaum etwas aussagt. (Auch "ich glaube an Gott" sagt erst etwas, wenn gesagt wird was unter "Gott" verstanden wird).

Wunschdenken. Das Buch nimmt als selbstverständlich an, dass die BVW bei 20 Stunden Arbeit der Arbeitenden, ohne Arbeitsverpflichtung und Leistungsdruck, alle Menschen ein "gutes angenehmes Leben" haben können, das auf einem höheren qualitativen Standard ist als in der derzeitigen Marktwirtschaft. Dies wäre zu wünschen aber zumindest zu belegen, um nicht als reines Wunschdenken zu erscheinen.

Vereinfachungen und Auslassungen

Geld weg - Probleme weg. Das Patentrezept ist, in allen Weltproblemen den Kapitalismus als Ursache zu sehen und im Kern dessen das Geld auszumachen. Mit der Beseitigung des Geldes ist dann gleichzeitig der Kapitalismus erledigt und alle Probleme gelöst. Ist das so einfach? Oder ist vielleicht der menschliche Egoismus ein domestizierbarer aber unausrottbarer Teil des Gesamtproblems?


Alles oder nichts. Die BVW geht von einem globalen System aus, das nirgendwo eine Grenzen (z. B. zu anderen Staaten oder Wirtschaftssystemen) besitzt, an der Güter (z. B. Resourcen) gehandelt werden müssen. Das scheint unrealistisch und es ist auch nicht klar, warum diese Vereinfachung als notwendig angesehen wird. Hypothese: es geht darum einem wirtschaftlichen Quantifizierungsbedürfnis auszuweichen.

Alle Güter ähneln einem Schuh. Der Ablauf wirtschaftlicher Produktions- und Planungsprozesse wird auf unglaubliche Art und Weise vereinfacht und bagatellisiert. Menschen sagen, was sie brauchen - Produktion wird geplant - Lieferung erfolgt früher oder später. Und: später ist kein grundsätzliches Problem. Der Winterschuh im Frühjahr mag noch angehen, vieles (z. B. eine Herzoperation) muss zeitgerecht erfolgen.

Wie Franz an anderer Stelle erwähnte, muss es nicht unbedingt so sein, dass die Vielfalt der Produkte eingeschränkt wird. Wenn es technisch möglich ist, und nicht zu viele Kapazitäten bindet, wird es eine Menge von Schuhmodellen geben. Nur: Die Modellvielfalt aufgrund kapitalistischer Konkurrenz kann entfallen.

Alle wesentlichen Bedürfnisse sind wirtschaftlich und mit produzierten Gütern zu befriedigen. Es gibt z. B. auch die Bedürfnisse der Menschen sich zu unterscheiden und auf einer sozialen Stufenleiter durch einen hohen Status auszuzeichnen. Was ist mit den Bedürfnissen nach Prostitution oder Rauschgiftkonsum? Wird die BVW solchen Bedürfnissen nachkommen oder sie (mit welcher Staatsgewalt?) bekämpfen?

Alle wesentlichen Interessenkonflikte sind wirtschaftlich und fallen in der BVW weg. Das erklärt, warum man kein kompliziertes Rechtssystem und keinen Staat mehr braucht. Es wird jedoch auch im optimistischsten Fall immer noch Gewaltverbrechen (Eifersuchtsmorde, Vergewaltigungen), Verkehrsunfälle, Diebstähle und Zuteilungsstreitigkeiten geben.

Alles lässt sich mit Menge an Arbeitszeit lösen, nie ist die Qualifikation ein Engpass. Wird mehr gebraucht, so wird mehr zur Arbeit eingeteilt, so als wäre die qualifizierte Arbeitskraft eine unbegrenzte Resource. Andererseits ist davon die Rede, ungeliebte Pflegearbeiten auch durch Ärzte (etwa in der Ausbildung) anteilig ausführen zu lassen. Es scheint da keine Rolle zu spielen, ob der qualifizierte Chirurg 20 Jahre und nur 15 Jahre einsetzbar ist.

Strategieanfälligkeit wird nicht untersucht. Ein eingerichtetes BVW-System wäre vermutlich sehr leicht auszunutzen. Wer nicht arbeitet hat auf bescheidener Ebene seine Grundsicherung und kann sich gezielt Qualitätsprodukte durch persönliche oder illegale Dienstleistungen oder Tauschhandel beschaffen. Dies ist vermutlich leichter erreichbar, als sich den universellen Anspruch an die gleichen Produkte durch Aufstieg in eine "Arbeitselite" durch ständigen hohen Arbeitseinsatz zu sichern.

A.F.: Es sei dir zugute gehalten, dass du zwischen ökonomischer Armut und naturischem Mangel unterscheidest. Sicherlich gibt es eine "Endlichkeit" natürliche Ressourcen - aber auch die Möglichkeit, damit umzugehen ohne unterzugehen. Stichwort: erneuerbare Energien. Wissenschaftlich möglich, schon praktiziert - aber zu teuer!!! Und was, wenn der Kostenstandpunkt keine Rolle mehr spielt? - Nur mehr erneuerbare Energie, so viel wie möglich und wissenschaftliche Anstrengungen, diese noch effektiver zu gestalten. das sollte doch möglich sein, wenn man sich die technologische Entwicklung in den letzten 50 Jahren ansieht.

F.N. Ein etwas anderes Argument: Es ist schon seltsam. Wir leben in der Gesellschaft, die erstmals in der Geschichte geschafft hat, die Springquellen natürlichen Reichtums universell fließen zu lassen, und die Ökonomie kennt immer nur das eine Thema: Mangel und Knappheit. Es wird total über die Qualität des Möglichen und Sinnvollen hinweggesehen und stattdessen immer nur mit Budgetgeraden und Indifferenzkurven die Freiheit in der Notwendigkeit der Beschränkung ausgerechnet. Deswegen sind ökonomische Argumente einfach nur irrational, wenn es um die Sachen selber geht. Fred hat recht, aber man muß es so ausdrücken: vergliche man die Kosten mit dem möglichen Ertrag - nicht für ein einzelnes Wirtschaftssubjekt, sondern für die allgemeine Lebensqualität und Nachhaltigkeit - dann wäre sehr rasch klar daß Dinge die angeblich heutzutage ökonomisch nicht möglich sind und daher unterbleiben auf der anderen Seite nicht nur sachlich notwendig wären, sondern sogar unbeschränkt lohnend! Natürlich würde sich heute kein vernünftiger Mensch mehr aufs Erdöl verlassen, aber die Weiterentwicklung alternativer Energien ist eben kostspielig. Dabei ist von Prinzip her klar: die Sonne knallt jeden Tag das Energie-äquivalent der Hälfte aller fossilen Energievorräte auf die Erde! Wir haben theoretisch unbeschränkten Zugang zu Energie, aber müssen diese "einzufangen" verstehen. Das erfordert zum Teil hohe Energieaufwendungen, diese sind aber sehr nachhaltig und sinnvoll. Das kann wiederum im Rahmen einer herkömmlichen Ökonomie gar nicht sinnvoll diskutiert werden, weil nämlich kein Geschäft dabei rauskommt. Dieser Skandal, Helmut, der fällt Dir nicht auf?

HelmutLeitner: Franz du fragst "dieser Skandal fällt dir nicht auf?" und triffst damit den falschen, denn ich bin mindestens so gesellschaftskritisch wie Alfred oder du. Der Unterschied ist nur, dass ich nicht behaupte das Ursachengefüge und den Letztschuldigen und damit das Patentrezept und die Sprache für die Lösung aller Probleme zu haben.

FranzNahrada:: Kapitalismus ist ein Systemzusammenhang, eine Art positive Feedbackschleife, und es genügt gerade nicht "die Propagandamaschine einzuschalten" und was "Revolution" anbelangt haben wir eher Rückfälle hinter den Kapitalismus erlebt als seine positive Aufhebung im Hegelschen Sinn. Das als Konsens kannst Du wohl bei allen hier unterstellen. Natürlich sind die praktischen Stellungen ganz verschieden, aber können wir uns einmal auf einen theoretischen gemeinsamen Grund begeben? Können wir uns einmal an der dürren Abstraktion treffen, daß derzeit der Zweck der ökonomischen Aktivitäten nicht die Befriedigung von Bedürfnissen ist? Daß der behauptete instrumentelle Charakter des Geldes als Kommunikationsmittel der Marktsubjekte eine einzige große Lüge ist? Daß jedes Konkurrenzsubjekt nicht die Konkurrenz will, sondern seine Durchsetzung gegen andere wollen muß, weswegen das Monopol auch kein Gegensatz zur Konkurrenz ist, sondern das Ideal der Konkurrenzsubjekte? Monopol ist kein Beweis daß Konkurrenz dieser Gesellschaft nicht konstitutiv wäre, im gegenteil: das Monopol wie auch seine Aufhebung ist beständiges Proidukt der Konkurrenz. Und daß sich Kapitalismus dadurch auszeichnet, daß im Gegensatz zu allen vorherigen Produktionsweisen die "Produktion um der Produktion Willen" in ungeheurem Ausmaß entfesselt wird, weswegen sich Krisen weniger am mangelnden Vorhandensein von Produkten zeigen als an deren mangelndem Absatz, könnte einem ja auch als differentia specifica unserer schönsten aller Welten auffallen. Das mit dem Bedürfnis ist so eine Sache, gemeinhin entwickelt man Bedürfnisse im Zusammenhang mit Wahrnehmung. Und die Wahrnehmung was so alles produziert wird und in welchen Mengen kann man einem Menschen kaum absprechen, das wird auch nicht geheimgehalten.

HelmutLeitner: Franz, wozu benötigen wir vorrangig einen theoretisch gemeinsamen Grund? Können wir uns nicht darauf verständigen, dass es

FranzNahrada: Wenn wir uns auf all diese Sache einigen würden (wobei ich bei den Menschenrechten und beim verfaßten Staats- und Rechtssystem schon ein wenig auf einen Warentest drängen würde) so wüßten wir noch immer nicht wohin wir wollten. Ich bin ja auch teilweise ein Moralist und dafür, daß sich die Menschen guten Willens unter der Earth Flag versammeln, aber Engels hat mal Moral "Impuissance mise en action" genannt. Ein anderer Teil von mir weist zurecht darauf hin, daß Bill und Melinda Gates Großsponsoren in der Armutsbekämpfung sind, daß es also durchaus so ist daß sie zumindest eines dieser Ziele unterschreiben würden. Es ist also leicht sich hinzustellen und zu sagen ich bin gegen das Elend auf der Welt, die nächste Frage ist welche Mittel hast Du etwas dagegen zu tun. Und da sind wir mitten im Thema: wenn jeder seine Mittel aus einem System bezieht, das strukturell Armut schafft: welche Handlungsmöglichkeiten hat er dann? Woher kommt die Armut überhaupt? Du sagst selbst, sie kommt nicht aus naturischem Mangel (es sei denn er ist bewußt hergestellt, indem zum Beispoiel das fruchtbare Land in Äthiopien für Plantagen aufgekauft wurde). Das heißt, ganz allgemein, der Mangel hat einen gesellschaftlichen Grund, ist von Menschen verursacht. Warum ist es falsch diesen Grund zu untersuchen? Warum agieren Menschen so eigenartig? Was ist das für eine Allgemeinheit die so eigentlich gar nicht existiert, weil in ihr ständig Machtkonzentrationen entstehen? Warum muß sich ein Staats- und Rechtssystem konstituieren, das ja selbst wieder nur eine "Machtkonzentration" ist, egal ob es sich in eine, zwei oder drei Gewalten trennt? Das sind alles keine theoretischen Fragen alleine, das sind Fragen die bestimmen welche praktischen Schritte Du setzt wenn Du mit dem derzeitigen Zustand dieser Welt Probleme hast. Wie gesagt, es ist schön und ehrenhaft sich diese Ziele zu setzen, und in gewisser Weise kann ich mir auch ein sinnvolles Staats- und Rechtssystem vorstellen, das als Korrektiv für den Schutz von Autonomie fungiert, aber zugleich ist damit eben noch gar nichts ausgesagt. Es bedarf, um in unserer Diktion zu bleiben, der Mustersprache einer freien Gesellschaft. Für mich sind da essentiell folgende Dinge:

Das wesentliche an Oekonux ist der "Keimform" Ansatz, also die Verbindung von heute stattfindenden Innovationen mit einem zukünftigen Funktionsprinzip von gesellschaft. Was mir an der BVW nicht gefällt, ist der Umstand, daß alle Belege für "Planwirtschaft" aus hierarchischen und eindimensionalen Systemen entnommen worden sind, die selbst niemals einem bedürfnisorientierten Standpunkt entsprungen sind (Eisenbahn, Militär etc.). Wenn das wenigstens zum Problem würde!

HelmutLeitner: Ich bin sehr für das Untersuchen und Erforschen von Ursachen und Zusammenhängen. Denn nur aus einem Verständnis der System können wirksame Maßnahmen für die Lösung von Problemen kommen. Aber dazu bedarf es eines unideologischen Blickes und einer echten wissenschaftlichen Einstellung. Die links-alternativ-marxistische Begriffs- und Theoriewelt ist voreingenommen, trostlos und unfruchtbar. Die Begriffe "Bedürfnis", "Wert", "Konkurrenz" und "Mangel" sind nie definiert worden und auch nicht definierbar. Alles, was sich Theorie nennt, dient nur dazu, das Ende des Kapitalismus herbeizureden und sich im eigenen Glauben zu sonnen und bestätigt zu sehen. Was ich bisher vom Keimform-Ansatz gelesen habe (niemand legt ja den behaupteten Oekonux-Theorie- oder Ideen-Kanon auf den Tisch) läuft das ja so: Wir wollen eine Systemänderung. Wie geht das. Also: formaler Schritt 1, 2, 3, 4 und 5. Also, jetzt haben wir es kapiert, so wird der Kapitalismus absterben. Das ist so, wie wenn jemand Virtuose werden möchte: (1) Instrument wählen (2) Instrument kaufen (3) Lehrer anstellen (4) jahrelang üben (5) Konzerte geben. Also, Problem gelöst, wir können dir sagen, wie du Virtuose wirst. Ich finde dieses Theorieverständnis unsagbar schrecklich. Natürlich kannst du meine Bedenken sofort entkräften, indem du eine praktisch brauchbare Fassung des Begriffes Bedürfnis erschreibst.

A.F.: Und du glaubst, dass deine Begriffswelt, wie "transparente Demokratie", "Menschenrechte", "verfasste Staats- und Rechtssysteme" nicht voreingenommen wären. Da täuschst du dich. Übrigens: die Schritte 1bis 5 klingen doch vernünftig - was ist daran so schrecklich? Und zuletzt: weshalb schreibst du nicht endlich eine "praktisch brauchbare Fassung" der Begriffe "Armut", "Machtkonzenration", "transparente Demokratie" etc. Das widerspräche wahrscheinlich deiner Forderung: "keine Begriffswelten und Antworten als gegeben setzen" - soll man letzteres nun als gegeben setzen oder nicht? (Franz wird wissen, was ich meine: Popper schau oba)

HelmutLeitner: Behaupte ich Perfektion? Wenn du an meinen Begriffen interessiert bist, dann können wir sie gerne diskutieren, kritisieren, ausarbeiten, wie immer. Ich sage auch nicht, dass wir eine "transparente Demokratie" oder eine "bedürfnissorientierte Demokratie" haben. Ich finde auch deine Begriffschöpfung "naturisch" wunderbar und brauchbar. Hingeworfen würde ich sagen (1) Armut ist, wenn jemand entweder (a) hungert oder keine Platz zum schlafen hat oder (b) weniger Einkommen zur Verfügung hat als einem Drittel des Durchschnittseinkommens seiner Gesellschaft entspricht (das "Drittel" ist verhandelbar). (2) Machtkonzentration ist, wenn jemand so viel mehr Macht als ein Durchschnittsbürger besitzt, dass eine gesellschaftliche Kontrolle zumindest von 10% der Betroffenen gewünscht wird. (3) Eine transparente Demokratie wäre eine Demokratie, in der der Bürger grundsätzlich ein Recht auf Informationszugang auf alle gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Informationen besitzt, sofern im Streitfall nicht ein Schiedsgericht diesen Zugang im Einzelfall einschränkt. -- Das schreckliche an den 5 Punkten ist, dass sie trivial sind und einen nicht vorhandenen Erkenntnisfortschritt vortäuschen. -- HelmutLeitner 2006-03-23 10:13:48

BVW/Allgemeine Kritik (last edited 2006-03-23 10:25:15 by HelmutLeitner)

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