Originaltext Aus dem Buch. Abschnitt "Politik" in der BVW

Die politische Verfassung der Marktwirtschaft ist die parlamentarische Demokratie. Diese Demokratie mit all ihren Einrichtungen wird oft als eigenständige politische Organisationsform der Gesellschaft betrachtet, ganz losgelöst von der dazugehörenden Ökonomie. Solch eine Trennung zwischen Politik und Ökonomie ist nicht einzusehen. Beide Sphären beziehen sich aufeinander und sind zwei Seiten einer Medaille. Diese Loslösung der Demokratie von der Marktwirtschaft ist ein Grund, weshalb selbst Kritiker der Marktwirtschaft an der Demokratie festhalten und diese ständig einfordern. Sie sehen in der Demokratie - ebenso wie die Verfechter des bürgerlichen Staates - nicht eine Herrschaftsform, sondern ein zutiefst menschliches Prinzip des Zusammenlebens. Kritik an der Demokratie an sich ist für sie daher unannehmbar und eine andere politische Organisation undenkbar, genauso wie es für die Feudalherren und ihre Untergebenen für Jahrhunderte unvorstellbar war, von ihrem "gottgegebenen" Herrschaftssystem abzugehen Wenn im Folgenden die Werte "Freiheit" und "Demokratie" beleuchtet werden, dann so, wie sie in der Marktwirtschaft tatsächlich vorkommen, und nicht als vorgestelltes Ideal in einer besseren Gesellschaft.

Als Bürger, welche die Freiheit haben, Privateigentum zur persönlichen Reichtumsvermehrung einzusetzen, beziehen sie sich auf den Staat als Garanten dieser Freiheit. Sie betrachten ihn als Schutzmacht ihres Gelderwerbs. Der bürgerliche Staat versteht sich als Schutzmacht der prinzipiellen Nutzung des Privateigentums, was nicht als Garantie für eine sicheres Einkommen der Bürger zu sehen ist. Bezüglich des prinzipiellen Nutzungsrechts von Privateigentum will die Demokratie auch keine Unterschiede machen und bezieht alle Bürger als gleichberechtigte auf sich und ihre Gesetze. Die Ungleichheiten, die sich dann aus der unterschiedlichen Verfügbarkeit von Privateigentum ergeben, werden mit dem Hinweis, dass jeder seines Glückes Schmied sein kann, als natürlich und gerecht bezeichnet. Bei Gefahr allzu krasser Verelendung sieht sich der Sozialstaat (in der Ersten Welt) zum Eingreifen aufgerufen, um die Funktionalität seiner Ökonomie zu bewahren. Auch wenn Gesetze in einer etablierten Demokratie nicht mit Waffengewalt geschaffen und durchgesetzt werden, so steht hinter jedem Gesetz die Gewalt des bürgerlichen Staates. Auf diese Gewalt beziehen sich auch die Bürger, indem sie von ihr fordern, gegen die Privatinteressen, welche die ihren einschränken, vorzugehen. Die Demokratie lässt nur ihre Gewalt (also keine Privatarmeen) gelten, um ihren Staatszweck durchzusetzen und aufrechtzuerhalten. Die politischen Instanzen haben Macht - sie herrschen ("...kratie"!). Sie haben die Souveränität über ein bestimmtes Staatsgebiet. Für dieses Staatsgebiet gelten dann jeweils deren Gesetze und deren Gewalt.

Die wirtschaftliche Nutzung des Privateigentums ist die Quelle des Reichtums und der Macht eines bürgerlich demokratischen Staates. In diesem Sinne betreibt er seine Politik, die der Machterhaltung und -ausweitung (gegen andere Staaten, siehe Außenpolitik) dient.

Die Gesetze und die Gewalt nach innen beziehen sich in großen Teilen auf das Privateigentum und dessen (wirtschaftlichen) Nutzung. Die Interessengegensätze, die in der Marktwirtschaft beim ökonomischen Handeln mitverankert sind, werden per Gesetz, das von der Gewalt festgelegt wird, entschieden (jedoch nicht aufgehoben). Der bürgerliche Staat setzt seine Macht ein, um seine Ansprüche seinen Bürgern gegenüber durchzusetzen. Er erlässt Gesetze, um den gegensätzlichen Interessen seiner Bürger die staatlich verordnete Verlaufsform zu geben: Seine Untertanen sollen für die Staatszwecke brauchbar sein und bleiben. In der Regel bedarf es gar nicht des Einsatzes von Gewalt, da sich die meisten Bürger an die Gesetze halten. Deshalb erscheint den meisten Bürgern die Demokratie auch gleich als gewaltlose Staatsform - im Gegensatz zur Diktatur.

Seine Politik lässt der Staat vom jeweiligen Staatsvolk per Wahlen absegnen. Zur Disposition stehen dabei nicht die grundsätzlichen Prinzipien wie Privateigentum, freier Markt, Geld, sondern Parteien und Personen, die mit ihren Programmen für die jeweils bessere Ausgestaltung dieser Prinzipien unter "Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte" werben. Parteien verstehen sich heutzutage nicht so sehr als Vertreter bestimmter Interessensgruppen, sondern vielmehr als jeweils beste Vertreter des Staatszwecks in dem alle Interessen ihren Platz haben sollen. Ihre gar nicht so unterschiedlichen Programme zum "Wohl der Nation" (nicht zu verwechseln mit dem Wohl des einzelnen Bürgers) stehen zur Wahl. Wenn die Programme nicht allzu große Unterschiede aufweisen, so macht der Wähler diese umso mehr bei den zur Wahl stehenden Personen aus. Das Wohl der Menschen kommt dabei in Wahlreden auch immer wieder vor, doch die wenigsten Bürger glauben wirklich, dass es bei der Politik auf ihr Wohl ankommt bzw. dass dies letztlich beim politischen Wirken herauskommt. Sie wählen ihre favorisierten Machthaber, weil sie sich die Anliegen des Staates zu ihren eigenen machen, mit dem Fehlschluss, dass ein ökonomisch und politisch starker (bzw. "ordentlich" geführter) Staat ihr Zurechtkommen erleichtern würde. Die Beteiligung des Staatsvolkes an der Politik hält sich - bis auf das Kreuzchenmachen - in Grenzen. Der "Normalbürger" hält sich aus der Politik heraus, begegnet einerseits den meisten Politikern mit Hochachtung, bezeichnet andererseits deren Tätigkeit (unter seinesgleichen, etwa am Stammtisch) oft als "schmutziges" Geschäft.

Schließlich gibt es noch die öffentliche Meinung, repräsentiert von den Journalisten, die u.a. die Politik berufsmäßig kommentiert. Deren besonderes Anliegen besteht darin, zu begutachten, ob der bürgerliche Staat gemäß seinen Zwecken auch tatsächlich in guten Händen ist, gut regiert wird, und demokratische Manieren eingehalten werden.

Sind die Menschen übereingekommen, die BVW als vernünftige Wirtschaftsform einzurichten und zu gestalten, bedarf es keiner Politik (im Sinne der bürgerlichen Demokratie). Die "politische" Verfassung der neuen Gesellschaft könnte, wie schon anno dazumal von Friedrich Engels (in "Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft"), so charakterisiert werden: Mit der Überwindung des bürgerlichen Staates und der Etablierung der neuen Gesellschaft wird die Herrschaft der Menschen über die Menschen beendet und durch eine Verwaltung von Sachen abgelöst. Damit ist kurz und treffend der Unterschied bezüglich der Politik angegeben. Wie könnte nun diese Verwaltung aufgebaut und die Beteiligung der Menschen geregelt werden? Dazu einige Hinweise im Folgenden.

1.1 Die (politischen) Gremien

In der BVW geht es um die Organisation und Sicherung der Versorgung. Verantwortlich dafür sind verschiedene Komitees, Ausschüsse, Versammlungen. Die "Politik" der Komitees und anderen Gremien besteht in der Erarbeitung von Entscheidungen und der Kontrolle der Unsetzung der Planungsvorgaben. Da gegensätzliche ökonomische Interessen keine Grundlage mehr haben, also alle einen gemeinsamen ökonomischen Zweck verfolgen, bedarf es keiner Macht, die diesen Zweck mit Gesetzen durchsetzen müsste. (Erinnert sei an das Beispiel des Freundeskreises, der gemeinsame Aktivitäten unternimmt.)

Die Beteiligung der Mitglieder der BVW an der "Politik" findet in den Komitees, Ausschüssen, Informationsmedien und Versammlungen statt. Die einzelnen Planungs-, Arbeits- und Kulturabteilungen können bezüglich Entscheidungen und Kontrolle auf drei Säulen ruhen: Komitees, Ausschüsse und Diskussion in größerem Rahmen, z.B. auf Versammlungen - wobei Einigungen auf argumentativer Basis erfolgen und bei schwierigen Entscheidungen auch Abstimmungen stattfinden.

Die Komitees der verschiedenen Bereiche der BVW-Gesellschaft werden mit Fachleuten besetzt, die Vorschläge unterbreiten, organisatorische Maßnahmen in die Wege leiten und kontrollieren, letztlich auch Entscheidungen treffen. Die Entscheidungsorgane in den verschiedenen Gremien werden aufgrund ihrer fachlichen Eignung von Ausschüssen ausgewählt und eingesetzt. Es sei nochmals darauf hingewiesen, die Komitees mit ihren Entscheidungen nicht mit der Staatsgewalt der Marktwirtschaft zu verwechseln. Die Komitees haben die Entscheidungsbefugnis in vielen Belangen, aber letztlich nicht die Macht bzw. Gewalt, die Entscheidungen gegen die Interessen der Mitglieder der BVW durchzusetzen. Die Komiteemitglieder werden von anderen Instanzen gemäß der Erfüllung ihrer Aufgaben beurteilt und dementsprechend ein- oder abgesetzt. Die Ausschüsse sind die Kontrollorgane der Komitees und können mit Personen nach verschiedensten Kriterien (z.B. Alter, Geschlecht, Single / Familie etc.) besetzt werden. Dies nicht, um gegensätzliche Interessen für das "Gemeinwohl" zu vergattern, sondern verschiedenen Interessen die Darlegung und Berücksichtigung zu ermöglichen. (Man könnte problematisieren, ob die oben angeführten Kriterien sinnvoll sind. Bei einigen Entscheidungen, etwa bezüglich der Gebrauchswerteigenschaften neuer Produkte, könnte dies der Fall sein, bei technischen Fragestellungen werden Alter und Geschlecht wohl keine Rolle spielen. Die sinnvolle Zusammensetzung der Ausschüsse mögen die Mitglieder der neuen Gesellschaft durchdiskutieren.) Die Ausschussmitglieder sind in Bereichen tätig, die in die Kompetenz des jeweiligen Komitees fällt. Sie können sich in die Tätigkeit des Komitees einmischen, indem sie Vorschläge kritisieren, neue einbringen, neue Fachleute in die Gremien optieren. Ihre Beteiligung in den Ausschüssen wird als Arbeitszeit behandelt. Wie die Ausschussmitglieder bestimmt werden, soll hier nur angedeutet werden. Möglich wären ein Zufallsverfahren (bezogen auf fachlich geeignete Personen), Interessenten- bzw. Vorschlagslisten oder Betriebsnominierungen (Betriebsabgeordnete). In jedem Fall sollten die Ausschussmitglieder Wissen hinsichtlich des zu verwaltenden Fachgebiets haben.

Die Besetzungen von Komitees und Ausschüssen sind zeitlich befristet, um gewisse Einseitigkeiten zu verhindern. Diese zeitliche Befristung wird allerdings bei Positionen nicht angebracht sein, die Erfahrung und Kontinuität erfordern. Abstimmungen mit Mehrheitsentscheid werden bei Diskussionen nur dann notwendig sein, wenn keine argumentative Einigung erzielt werden kann. Es wäre ineffektiv, jede Planungsentscheidung einer Diskussion zu unterwerfen. Viele Entscheidungen werden eigenverantwortlich von den betreffenden Spezialisten in den Komitees zu treffen sein, was eine eventuelle nachträgliche Kritik der Ausschüsse nicht verhindern wird.

Jedes BVW-Mitglied kann sich überdies in den Informationsmedien und bei den regelmäßig stattfindenden Versammlungen der einzelnen Abteilungen in die Diskussion einmischen. Anregungen und Kritik werden willkommen sein. Grundlegende Entscheidungen können in Versammlungen diskutiert und abgestimmt und müssen in Ausschüssen bzw. Komitees berücksichtigt werden.

1.2 Verbindliche Regelungen

Eine Herrschaft, vergleichbar der demokratischen Staatsgewalt, ist in der BVW nicht notwendig. Da den ökonomischen Interessengegensätzen die Grundlage entzogen ist, wird eine Gewalt, welche die Bürger auf reglementierte Umgangsformen bei der Anwendung ihrer ökonomischen Mittel verpflichtet, obsolet, und damit auch die Gesetze, die diese Umgangsformen für alle Sphären des Lebens Paragraph für Paragraph ausformulieren. Charakteristisch für die bürgerlichen Gesetze ist, dass sie gegen Interessen durch-gesetzt werden müssen, ganz im Unterschied zu allgemeinen Regelungen. Letztere basieren auf einem gemeinsamen Willen hinsichtlich des gemeinsamen Zwecks und erleichtern das Zusammenleben. Man denke z.B. an ein Spiel, zu dem sich Leute zusammenfinden. Das Spiel kann nur dann im Sinne aller funktionieren, wenn sich alle an gewisse Spielregeln halten. Zu Recht heißt es Spielregeln und nicht Spielgesetze. Es wird in der neuen Gesellschaft durchaus allgemein verbindliche Regelungen geben: Diese bedarf es der Festlegung und Kontrolle der Arbeit und Zuteilung. Es sind z.B. hinsichtlich des Arbeitszeitmodells, der Arbeitszeitdauer, der Verrechnung und Bewertung der Arbeiten Vereinbarungen notwendig. Sind die Beteiligten mit den Zwecken der BVW einverstanden, so kann davon ausgegangen werden, dass sie diese Festlegungen mittragen, akzeptieren und sich daran halten. Ebenfalls gibt es diese in Bereichen, wie z.B. im Straßenverkehr, um eine reibungslose Durchführung zu ermöglichen. In diesem Falle spricht sogar nichts dagegen, einige Vereinbarungen aus den Bestimmungen der alten Gesellschaft zu übernehmen. Dass dem Rechtskommenden Vorrang einzuräumen ist, und dass eine rote Ampel "Stopp" bedeutet, sind Regelungen, die keine marktwirtschaftlichen Spezifika aufweisen. Bei Unfallschäden wird in der neuen Gesellschaft allerdings anders zu verfahren sein – finanzielle Erwägungen entfallen.

1.3 Sicherheit und Beurteilungsinstanzen

Allzu kühn wäre es, aus dem Entfall der ökonomischen Interessengegensätze abzuleiten, dass es in der BVW keiner Sicherheitsorgane bedürfe. Diese regional organisierten Sicherheitsorgane sind mit Gewaltmitteln ausgestattet, welche eingesetzt werden, um Personen, die eine Gefährdung darstellen und vernünftigen Argumenten unzugänglich sind, von ihrem Tun abzubringen und ihrer habhaft zu werden. Auch in dieser Gesellschaft, in der ökonomische Gegensätze nicht mehr vorhanden sind, wird es Leute geben, die sich nicht an Übereinkünfte halten und die Versorgung, die Gesundheit, die Lebensentfaltung anderer behindern oder verhindern. Wenn der Gefährdende nicht zu überreden ist, von seinem Tun abzulassen, oder die Tat schon vollbracht ist, und er mit diesbezüglichen Folgemaßnahmen nicht einverstanden ist, so wird er von den Sicherheitsorganen in Gewahrsam zu nehmen sein.

Verstöße werden beurteilt und nicht gemäß Gesetzesparagraphen verurteilt. Die Gründe für das Verhalten des Betreffenden werden besprochen - Gerichte werden zu Beurteilungsinstanzen. Nicht die Schuldhaftigkeit wird festgehalten, sondern Argumente werden bezüglich ihrer Stichhaltigkeit überprüft. Diskutiert werden der angerichtete Schaden und seine mögliche Wiedergutmachung, aber auch Maßnahmen, um die Wiederholung des schädigenden Verhaltens zu verhindern. Die "Bestrafung" wird darin bestehen, den verursachten Schaden wieder gut zu machen. Sollte das nicht möglich sein, so könnten Arbeitszeitgutschriften gestrichen werden, was eine Herabstufung auf die Grundversorgung oder längere Arbeitszeiten für den Betreffenden zur Folge hätte. In krassen Fällen wiederholter Gefährdungen des Zusammenlebens werden Personen, die Argumenten nicht zugänglich sind, von der Gemeinschaft abzusondern sein. Die Beurteilung selbst setzt kein juristisches Wissen voraus, sondern erwägt den Schaden und dessen Wiedergutmachung. Das Hauptanliegen, wie allen Beteiligten und Betroffenen am besten geholfen werden kann, gibt die Anforderungen für die "Beurteilung" vor. Personen, die anhand verschiedenster Kriterien ausgewählt werden, können als eine Art Beurteilungsausschuss in schwierigen Fällen zugezogen werden; bei einfacheren Fällen genügt die Beurteilung durch ein Fachgremium, das in regelmäßigen Abständen ausgewechselt wird. Hauptberufliche "Beurteiler" gibt es nicht. Um die Beurteilung nicht allzu sehr von der jeweils subjektiven Erfahrungslage des Beurteilenden abhängig zu machen und zu erleichtern, könnte die Vorlage von "Musterfällen" dienen. Diese Musterfälle werden genau geschildert und die Vorgangsweise wird festgehalten.

1.4 Informationen

Die BVW-Gesellschaft wird mit Informationen zu neuen Produkte, Maßnahmen im Bereich der Ausbildung und Zuteilung, wissenschaftlichen Ergebnissen, Ereignissen in der Natur und Kultur versorgt. Der journalistische Konkurrenzkampf gehört ebenso der Vergangenheit an wie die Auffächerung der oft gleichen Informationen in verschiedensten konkurrierenden Medien. Dies hat nicht die viel beschworene "Gleichschaltung" zur Folge, denn in den jeweiligen Informationsblättern bzw. -sendungen wird der Diskussion und kontroversen Ansichten breiter Raum eingeräumt. In der neuen Gesellschaft wird sich auch das Interesse der zu Informierenden ändern. Die Kommentierung des Parteienhickhacks der Demokratie verliert ihre Grundlage, wie auch die Begutachtung der Präsentation der Regierenden. Die Stellung einer Nation zur anderen (Außenpolitik) ist kein Inhalt mehr. Wenn entferntere Regionen kommentiert werden, dann nur mehr als Größen der interregionalen Planung oder aufgrund von Ereignissen der Natur und Kultur. Die Ergötzung des demokratischen Bürgers an den Erfolgen und Misserfolgen von (prominenten) Persönlichkeiten und deren journalistische Ausschlachtung hat ihre Grundlage in der Konkurrenzgesellschaft und den nicht ausbleibenden Misserfolgen der daran Beteiligten - weshalb sollte so etwas ein BVW-Mitglied interessieren, wenn ihm sein eigenes Leben genügend Wonne beschert und ihm Schicksale anderer Menschen weder Trost bereiten noch Schadenfreude hervorrufen?


Fragen

Im Buch werden alle Entscheidungen auf Komitees übertragen. Es wird jedoch nirgends beschrieben, welche Arten von Kommitees es gibt, wer sie einsetzt oder auflöst oder wie sie sich bilden, nach welchen Regeln sie arbeiten und entscheiden. Wie werden Mitglieder aufgenommen oder ausgeschieden? Auf welche Art und in welcher Form treffen Komitees Entscheidungen? Konsensual oder mehrheitlich? Wie sind die Entscheidungen bindend für andere Komitees? Wie werden Streitigkeiten zwischen Komitees und Inkonsistenzen in Komitee-Entscheidungen gelöst? Wie werden Entscheidungen gegenüber anderen Komitees oder Einzelpersonen durchgesetzt?

A.F.: Unter "Politik" in einer BVW steht darüber einiges. Bitte nachlesen.

HelmutLeitner: Ich habe nachgelesen, lies es bitte auch selber nach. Dort steht sehr wenig konkretes. Wenn es dir Recht ist, werde ich es bei Gelegenheit hierher exzerpieren.


Exzerpt des Abschnittes Politik (p.118-123)

HelmutLeitner: Die obigen Aussagen zur Organisation der BVW sind erschreckend unzureichend. Der Abschnitt erwärmt sich, wie das ganze Buch, haupsächlich in der Darstellung von Mängeln der MW, ohne eine Alternative darzustellen, die über die Organisation einer Pfadfindergruppe oder eines Vereines hinausreichen würde, aber sogar dort müsste man konkreter sein.

A.F.: Wie unterschiedlich das "Erschrecken" sein kann. In einer "Presse" - Rezension einer Darstellung des Kapitels "Arbeit in der BVW" im Attacbuch "Losarbeiten-Arbeitslos" erschrak die Presserezensentin über die konkreten Vorschläge - wie nicht anders zu erwarten. Helmut sind die Vorschläge viel zu wenig konkret. Ich nehme an, die Kritik einer zu unkonkreten Darstellung der Alternative bezieht sich hauptsächlich auf den Punkt der politischen Organisation. Ehrlich gesagt war ich mir beim Konzipieren der Alternative manchmal unsicher, ob ich nicht viel zu konkret gewisse Details darstelle. Es kam mir bei der Darstellung der BVW auf die Darstellung von Grundprinzipien einer alternativen Ökonomie an. Ausgangspunkt ist eine radikale Kritik der Marktwirtschaft - deshalb der Bezug auf diese. Weshalb die Gesllschaft eigentlich nicht wie einen Verein organisieren? Welche Argumente sprechen dagegen? Entscheidend sind die Grundprinzipien der BVW -Ökonomie. Wenn man damit einverstanden ist, wird sich eine vernünfige Verwaltung der Gesellschaft schon organisieren lassen. Ich brachte diesbezüglich einige Vorschläge - siehe Abschnitt "Politik" oben. Darauf aufbauend kann eine Diskussion stattfinden, die in einer konkreteren Ausarbeitung mündet. Ich wollte nicht alle Details des gesellschaftlichen Zusammenlebens vorgeben - ist doch vernünftiger, diese in einer gesellschaftlichen Diskussion zu entwickeln. Übrigens ist beim genauen Studium des Abschnitts "Politik" ersichtlich, dass einiges ziemlich konkret benannt wird. Die "no nas" (oben von Helmut) sind insofern keine Selbverständlichkeiten, da die BVW die erste Gesellschaft wäre, in der bei politischen Entscheidungen nicht Gesetz,Staatsraison (Macht,Gewalt) und "Durchsetzungsvermögen", sondern Argumente und Sachverstand maßgebend sind. Oder meinst du, dass Letztere bei den Entscheidungen von G.Bush die entscheidende Rolle spielen?

HelmutLeitner: Dass Rezensentin X eine andere Wortwahl oder Meinung hat als Person Y ist weder überraschend noch ein Argument. Alternative Wirtschaft als kybernetisches System braucht sehr konkrete Vorstellungen über seine Elemente und Zusammenhänge. Alternative Wirtschaft als religiöser Glaube braucht offenbar nur den Verweis auf Missstände der MW bzw. des Kapitalismus und ein glaubende "wir machen es anders, also wird alles gut". Offenbar ist es dann gefährlich für den Konsens, konkreter zu werden, weil das Lager der Alternativen sich als zerstrittener Haufen von Idealisten und Chaoten darstellt, der sich vorwiegend in der Kritik einigen kann, aber nicht in alternativen Maßnahmen oder Systemvorstellungen. Von außen betrachtet sind das natürlcih denkbar miserable Voraussetzungen, um irgendetwas - und sei es auch nur mal in Gedanken - zu verändern.

A.F.: Ich gebe dir Recht, dass eine Alternative, ob nun kybernetisch oder nicht, in vielen Punkten konkrete Vorstellungen beinhalten muss. Man kann nun darüber dikutieren, wieweit diese Konkretisierung gehen soll und muss. Ich behaupte, dass in dem Modell der BVW die Grundprinzipien der alternativen Gesellschaft sehr konkret benannt und dargestellt wurden, manchmal konkretisiert an Detailbeispielen (zB. Haushalt, Speiseorganisation etc.). Ich gebe dir nicht ganz darin Recht, dass das Lager der Alternativen deshalb zerstritten wäre, weil nur es Unterschiede in den Alternativen gäbe. Die Unterschiede in den Alternativen ergeben sich zum Teil aus einer unterschiedlichen Kritik der Marktwirtschaft. Wenn z.B. Felber und Raimon (Attac Österreich) darauf hinweisen, dass "der Markt nicht alles regeln kann" und damit die vorangetriebene Privatisierung kritisieren, so kommt darin auch ihre Alternative zum Vorschein: Markt schon, aber sozial und staatlich domestiziert. Ihre Kritik an der Marktwirtschaft fußt auf der Ansicht, dass das Schädliche an der Marktwirtschaft ihre "Auswüchse" wären, zB. das wild und global spekulierende Geldkapital - deshalb auch die Alternative A.T.T.A.C. Bürgerlicher Staat, Geld, Lohnarbeit, Markt usw. sind für sie tragbar, wenn das alles sozial verträglich organisiert wäre. Wenn ich das noch weiter ausführen soll, bitte anmerken. Außerdem: Helmut, wer hindert dich daran, an dem einen oder anderen Punkt Konkretisierungen vorzunehmen und vorzuschlagen? Du wirst diese in diesem Forum sicherlich diskutieren und vorantreiben können.

HelmutLeitner: Für mich war und ist interessant, ob hinter den vagen Skizzen der BVW (verkürzt: "Revolution, Abschaffung der MW, alles machen Komitees, irgendwie werden die das schon regeln") konkretere Vorstellungen stehen, die nicht ausgesprochen wurden, oder nicht. Das Beispiel mit der Speiseorganisation habe ich noch nicht kritisiert, obwohl das Bagatellisieren der ../Skalierungsprobleme ein riesiger Bock ist, den du da IMHO geschossen hast. Im übrigen kann ich mich mit der von dir dargestellten Position von ATTAC ziemlich gut identifizieren. In Österreich gibt es ja auch das Konzept der "sozialen Marktwirtschaft" - ich meine man sollte diese Worte in eine konkrete Domestizierung von MW und Kapitalismus umsetzen. Zum Beispiel die Größe von Unternehmen und Kapitalbildungen begrenzen. Steuern auf global tätige Firmen und Transaktionen zur Finanzierung eines globalen Sozialsystems. etc.

A.F.: Zu den "Skalierungsproblemen" siehe Seite "Skalierungsprobleme". Mit deiner Bemerkung zur sozialen Marktwirtschaft hast du was Entscheidendes angesprochen. Eine der Intentionen meines Buches war es, im ersten Teil der Kritik der Marktwirtschaft aufzuzeigen, dass solange an einer Ökonomie mit Eigentum, Geld , Markt, Lohn festgehalten wird, es Armut, gesundheitliche Probleme, Umweltzerstörung etc. in hohem Ausmaß geben wird. Dieses Ausmaß wird in einer sozialen Marktwirtschaft in einem Maße zugelassen, das nicht dysfunktional für die Marktwirtschaft ist. Systemsprengend kann eine soziale Marktwirtschaft nicht sein und auch nicht das Ziel für Leute, die ein gutes Leben für alle wollen. Ich wollte auch darauf hinweisen, dass sich die Marktwirtschaft nicht wie ein Tier "domestizieren" lässt, weil es eine Wirtschaft ist, die bezüglich ihrer Grundprinzipien schädlich für die Leute ist, ob nun mehr oder weniger "sozial". Sie lässt eben das "soziale" nur bis zu einem gewissen Grade zu - zB. ein monatliches Grundeinkommen von 4.000 Euro für jeden (ohne Preiserhöhung) bestimmt nicht. Es kommt also auf die grundsätzliche Entscheidung an, ob man mit Eigentum, Markt, Geld, Preis usw. leben will. Will man das, dann muss man auch die damit verbundenen sozialen Härten in Kauf nehmen - die lassen sich nicht wegreformieren.

F.N. Mit anderen Worten, der Standpunkt Versorgung, würde er in der Marktwirtschaft ernst genommen ist dysfunktional. Es ist durchaus ernst zu nehmen wenn Apologeten der Marktwirtschaft darauf verweisen, die Leute würden - wenn sie versorgt würden - nicht mehr arbeiten wollen etc.; und die traditionelle sozialstaatliche Versorgung ist daher eigentlich auch nichts anderes als eine notwendig begrenzte Kompensation der "Abweichungen" vom normalen Urteil "wer nicht arbeitet soll auch nicht essen". Es geht um Fragen der Ausbildung, des Krankheitsfalls, des Alters. Hinter all dem steht die Frage "können wir uns das leisten" - die immer ident ist mit "kann sich unsere Wirtschaft in der Konkurrenz behaupten"?. An den dahingehend ständig verschärften "Sachzwängen" relativieren sich noch die bescheidensten Ansrüche, sodaß selbst die sozialstaatlichen Kompensationsmaßnahmen der 70er Jahre heute schon wie eine ferne Utopie ausschauen. Die "soziale Marktwirtschaft" ist nur mehr mit Kostenbeteiligung, Eigenvorsorge etc. zu machen, also selbst immer mehr der nochmalige Vollzug der Scheidung, die die Konkurrenz an den Menschen hergestellt hat.

HelmutLeitner: Alfred, die Annahme der "grundsätzlichen Schädlichkeit" ist ein Glaubensdogma deiner Weltanschauung. Ich sehe die BVW als ein alternatives Modell, das zunächst einmal unabhängig davon betrachtet werden kann, ob nun deine Analyse und Kritik der MW stichhältig ist oder nicht. Dass du suggerierst, in der BVW könne jeder herrlich leben, auch ohne zu arbeiten - und ohne wirklich zu erklären wie das geht, und ohne den Gedanken zuzulassen, dass es auch Probleme und Missstände in einer BVW geben kann - ist ein reines Luftschloss.

Franz, ich sehe die heutigen Probleme ganz woanders. Marktwirtschaft ist ein kämpferisches Spiel um Status und Macht, das unsere Gesellschaft zugelassen hat und weitgehend domestiziert hatte. Die Wirtschaft war einmal unter der Kontrolle der Politik und damit im Prinzip unter der Kontrolle der Gemeinschaft. Im Übergang zur Mediengesellschaft hat die Wirtschaft ihren Einfluß auf die öffentliche Meinung ausgebaut, im Übergang zur globalen Dimension konnte die Politik bisher nicht folgen. Die Wirtschaft beherrscht nun jene Politik, die sie eigentlich kontrollieren und domestizieren sollte. Es gäbe keine Probleme der Globalisierung und der Marktwirtschaft, wenn globale Unternehmen globale Steuern zahlen und damit ein globales Sozialsystem finanzieren würden, das garantiert, dass niemand verhungert und dass die Entwicklungsländer aufholen können. Eine starke UNO (oder ähnliche Welt-Organisation) könnte das organisieren. Nationale Egoismen der Menschen und der Regierungen behindern das. Das Problem ist die Domestizierung der Egoismen. Die Vorstellung, dass eine Systemänderung (BVW, Revolution, echter Kommunismus, was immer) auf magische Weise die Egoismen (Machtstreben, Korruption, Ungerechtigkeit, Gewalttätigkeit, Ausbeutung von Gemeingütern etc.) beseitigen würde, ist eine reine Fata Morgana. Es würde nur heißen "neues Spiel - neues Glück". Was wir haben, ist kein grundsätzliches Problem der MW, sondern ein grundsätzliches Kontrollproblem unabhängig von der Gesellschafts- und Wirtschaftsform. Wir haben ein Problem fehlender gefühlter Gemeinschaft unter den Menschen, unter uns. Sogar hier, im begrenzten Rahmen des OekonuxWiki, ist das Problem spürbar, dass die Teilnehmer sich nicht ausreichend mögen und an einem Strang ziehen. Wir haben kein Problem des Mangels, sondern ein Problem der Bereitschaft zu teilen.

A.F.: Nochmals zurück zur Kritik an der Marktwirtschaft: Du kannst der Marktwirtschaft offenbar durchaus gute Seiten abgewinnen, wenn die Politik sie "domestizieren" würde. Die erste Abteilung meines Buches argumentiere ich ausführlich, weshalb die Marktwirtschaft prinzipiell schädlich ist, wie auch immer sie domestiziert ist. Bitte mir nochmals nachzuweisen, wo ich da falsch liege, also einem "Glaubensdogma" aufsitze. Außerdem vermute ich, dass du hoffst, mit "der Politik" ließe sich erreichen, dass die Marktwirtschaft sozial und in deinem Sinne menschenfreundlich zu gestalten sei, wie anno dazumal. Erstens verwechselst du die damals unter dem Begriff "soziale Marktwirtschaft" gelaufene staatliche Politik mit einem menschenfreundlichen Anliegen. Es gäbe viel dazu zu sagen - nur ein Hinweis zum Bedenk: In die Zeit der sozialen Marktwirtschaft fiel auch die 68er Bewegung, die teilweise eine vehemente Kritik an jener hatte und vom Staat auch ebenso vehement bekämpft wurde. Die "guate alte Zeit" sah anders aus als die heutige, aber die Härten der Marktwirtschaft gab es damals wie heute - ob nun mehr oder weniger sozial. Zweitens unterstellst du einer Politik innerhalb der Marktwirtschaft den Impetus, die Menschen gegenüber der Wirtschaft in Schutz zu nehmen. Politik innerhalb der Marktwirtschaft denkt immer in erster Linie an das Staatsganze, nämlich was dem gut tut - und das ist was anderes, wie auf die Bedüfnisse der Menschen einzugehen. Über die falsche Ineinssetzung von Staat und den Bedürfnissen der Menschen steht einiges im Buch. Bitte Helmut, bitte stelle nichts in den Raum, was ich so nicht behaupte. Ich habe nie behauptet, dass in einer BVW jeder "herrlich" leben könne, auch ohne zu arbeiten, und wo steht, dass es keine Probleme und Missstände in einer BVW geben würde? (Du siehst als Problem den Charakter des Menschen - auch dazu gibt es was im Buch, unter: Gegner der BVW und deren Argumente / Charakter des Menschen.)


FN: ein goldener Satz findet sich heute bei Stefan Meretz:

"Die linke Bewegung klebt an den Fetischformen von Staat und Demokratie. Und auch die Wertkritik hat, wenn sie denn einmal den Blick über den Tellerrand der Kritik schafft, nicht mehr zu bieten als »Räte«, irgendwie. Die Freie Software und Wikipedia hingegen probieren transdemokratische Formen der gesellschaftlichen Regulation praktisch aus. Hier werden Erfahrungen gemacht, die für eine Freie Gesellschaft von zentraler Bedeutung sind."

http://www.opentheory.org/immaterial_world_06/text.phtml Absatz 7

BVW/Politische Organisation (last edited 2006-04-01 11:09:20 by FranzNahrada)

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