Schnipsel zur Debatte auf der WAK-Liste
Ich lese die Liste mit Interesse und droppe hier mal ein paar Kommentare, die sich aus meiner Warte ergeben. Literaturverweise sind weitgehend auf meiner Literaturliste aufgelöst.
Kommentare können gern hier reingeschrieben werden. Namenskürzel und Datum wäre nett. Ich behalte mir vor, das umzusortieren und umzustrukturieren und verspreche nicht, dass dabei jeder Kommentar erhalten bleibt. -- HGG 2006-08-07
Auf HGG/Grundlagen habe ich ein paar meiner empirischen und methodischen Ausgangspunkte versucht genauer darzustellen. -- HGG 2006-08-11
Arbeit und Eigentum
(1.1) Verfügung über fremde Arbeitskraft = Eigentum (MEW 3: S. 20 ??) -- Quelle (wak:UW 24.07.2006)
- Das ist in der historischen Genese sicher korrekt, wie Marx weiter belegt. Ich halte dem trotzdem mal die Systematik des BGB entgegen, das einer "Welt von Ideen" Ausdruck verleiht, in der Eigentum auch vorkommt: Besitz von Eigentum (subtile Differenz! - Buch 3), um schuldfähig zu sein (Buch 2), um verantwortungsfähig zu sein (Buch 1). Bezieht sich zwar "nur" auf das Verhältnis der Eigentümer untereinander, aber: Wo kommt diese Sicht auf Eigentum her? Kommt das bei Marx zu kurz? Kommt das in unseren Überlegungen strukturell zu kurz? Sind diese Umgangsformen eine zivilisatorische Errungenschaft, hinter die wir nicht zurück wollen? Für mich eindeutig ja. Eine gesellschaftlich verlässlich eingebundene Form von Verantwortungsfähigkeit für die eigene "Selbstentfaltung" gegenüber den Anderen ist für mich eine zentrale zivilisatorische Errungenschaft. -- HGG 2006-08-06
Siehe auch (ruben-98): "Setzt man mit Marx voraus, daß alles originäre Eigentum Gemeineigentum ist, so ist sofort einsichtig, daß mit der zusätzlichen Annahme vieler Gemeinschaften, die zunächst durchaus zufällig in den Austausch eintreten, das Eigentum jeder besonderen Gemeinschaft gegen das jeder anderen als Sonder- oder Privateigentum bestimmt ist. Es findet also an sich kein logischer Gegensatz zwischen Privat- und Gemeineigentum statt. Gemeineigentum ist im sozialen Verkehr Privateigentum eben der Gemeinschaft, die am Tausch teilnimmt. Ob diese Gemeinschaft nun als ganze oder durch einen oder mehrere Repräsentanten vertreten in den Austausch eintritt, ändert an dieser Feststellung nichts. Die Privatheit des Gemeineigentums wird durch die wechselseitige Anerkennung der Tauschpartner determiniert, ohne die der Tausch gar nicht stattfindet. Sie besagt ja nur, daß die jeweils andere Gemeinschaft ohne Gegengabe nicht in den Genuß des Eigentums dieser Gemeinschaft gelangt." -- HGG 2006-08-06
- Das setzt alles bereits eine Gesellschaftsform voraus, in der vereinzelt produziert und dann über Tausch "vergesellschaftet" wird. Dieses gesellschaftliche Verhältnis wird "naturalisiert", als unveränderbar dargestellt. Das kann man machen, aber ich teile diese Auffassung nicht. -- AS 2006-08-08
- Mit dem Begriff "vereinzelt produziert" kann ich nicht viel anfangen, weil - aus Sicht des Gebrauchs der Vernunft - nach meinem Verständnis das reale Produzieren als "privater Gebrauch der Vernunft im Handeln" in der Tat vereinzelt erfolgt, während die vor- und nachbereitenden Reflexionen als "öffentlicher Gebrauch der Vernunft zum Raisonnieren" ein kollektiver Prozess ist. Wobei jede der beiden Seiten natürlich auch das jeweils andere Element enthält - die Konditionen der Privatheit der Produktion sind gesellschaftlich erzeugt und die Reflexionen greifen zwar die Erfahrungen anderer auf, laufen aber in je konkreten Köpfen ab. Das eine (Produktion) nenne ich in (graebe-mawi) eine "gesellschaftlich vermittelte Individualität", das andere (Reflexion) eine "individuell vermittelte Gesellschaftlichkeit". -- HGG 2006-09-01
Das gemeinsame Phänomen, welches der Herausbildung von "vielen Gemeinschaften" zugrunde liegt, ist aus der ersteren Perspektive die Arbeitsteilung und aus der zweiteren die Spezialisierung. Dein "ich teile diese Auffassung nicht" müsste sich zu diesen Strukutrierungsprozessen ins Verhältnis setzen. Wie du das denkst verstehe ich nicht. Wie Ruben das denkt - als Individuum Teil und als Person zugleich vertragliches Gegenüber von Gemeinschaft(en) in ein spannungsgeladenes Verantwortungsverhältnis eingebunden - das kann ich nachvollziehen. -- HGG 2006-09-01
- Mit dem Begriff "vereinzelt produziert" kann ich nicht viel anfangen, weil - aus Sicht des Gebrauchs der Vernunft - nach meinem Verständnis das reale Produzieren als "privater Gebrauch der Vernunft im Handeln" in der Tat vereinzelt erfolgt, während die vor- und nachbereitenden Reflexionen als "öffentlicher Gebrauch der Vernunft zum Raisonnieren" ein kollektiver Prozess ist. Wobei jede der beiden Seiten natürlich auch das jeweils andere Element enthält - die Konditionen der Privatheit der Produktion sind gesellschaftlich erzeugt und die Reflexionen greifen zwar die Erfahrungen anderer auf, laufen aber in je konkreten Köpfen ab. Das eine (Produktion) nenne ich in (graebe-mawi) eine "gesellschaftlich vermittelte Individualität", das andere (Reflexion) eine "individuell vermittelte Gesellschaftlichkeit". -- HGG 2006-09-01
Und weiter ebenda: "Der Gegensatz zwischen Privat- und Gemeineigentum tritt nur innerhalb einer Gemeinschaft auf und kann, wie der moderne Kommunismus gezeigt hat, zugunsten des (nationalen) Gemeineigentums aufgelöst werden. Diese Auflösung hat aber zur Folge, daß ökonomisch die Person ebenso verschwindet und an ihre Stelle der Funktionär tritt, d.h. das Individuum als Vollzugsorgan des Kommandos des (kommunistisch verwalteten) Gemeinwesens. Damit wird das Innovationspotential der Gemeinschaft ausgetrocknet, infolge dessen seine Konkurrenzfähigkeit mit anderen Gemeinschaften verlorengeht."
- Teilst Du diese Art "Sozialismusanalyse" etwa? Schon die Verwendung der Worte "moderner Kommunismus" macht mich stutzig - wer hat behauptet, dass wir schon "Kommunismus" hatten? Auch die Setzung der Notwendigkeit von "Innovationspotential" und "Konkurrenzfähigkeit" ist nicht gerade das, was ich teilen kann. -- AS 2006-08-08
- "Wie der moderne Kommunismus gezeigt hat" kann hier m.E. nicht anders verstanden werden als "die realsozialistische Erfahrung". Egal, ob du dabei mit dem Wort "Kommunismus" mitgehst oder nicht - jede Theorie muss sich befragen lassen, wie sie sich zu dieser Erfahrung ins Verhältnis setzt. Und dass die "Person" in der von Ruben verwendeten Semantik - als verantwortungs- und vertragsfähiges Subjekt auch in den Kernbereichen der materiellen Produktion - in genau der beschriebenen Weise ersetzt wurde, wirst du doch wohl nicht ernsthaft bestreiten, oder? Dem liegt allerdings als (Vor-)Bild die Einbindung des Lohnarbeiters in die kap. Produktion zugrunde, in der letzterer ebenfalls "Vollzugsorgan" (des Unternehmers) und nicht "Person" ist. Eine Perpetuierung des "bei der Arbeit außer sich und außer der Arbeit bei sich". Dass "damit das Innovationspotenzial der Gemeinschaft ausgetrocknet" wird halte ich nicht erst durch den Krach von 89/90 mehr als belegt. Genau aus dem Grund löst sich m.E. auch in dieser Gesellschaft das klassische Lohnarbeiterverhältnis zunehmend auf - mit allen (positiven und negativen) Konsequenzen. -- HGG 2006-09-01
Und schließlich: "Hegels Diktum: 'Das Vernünftige des Eigentums liegt nicht in der Befriedigung der Bedürfnisse, sondern darin, daß sich die bloße Subjektivität der Persönlichkeit aufhebt. Erst im Eigentume ist die Person als Vernunft', gewinnt damit eine Bedeutung, die ohne die kommunistische Erfahrung wohl nur erahnt werden kann. Denn immerhin hat der Philosoph vor 175 Jahren bemerkt: 'Die Vorstellung von einer frommen oder freundschaftlichen uns selbst erzwungenen Verbrüderung der Menschen mit Gemeinschaft der Güter und der Verbannung des privateigentümlichen Prinzips kann sich der Gesinnung leicht darbieten, welche die Natur der Freiheit des Geistes und des Rechts verkennt und sie nicht in ihren bestimmten Momenten erfaßt.'"
Arbeitsteilung und (in diesem Sinne gefasstes) Privateigentum sind also zwei Seiten derselben Medaille. -- HGG 2006-08-06- Unter bestimmten Verhältnissen. Es gab immer schon auch Arbeitsteilung ohne bürgerliches Privateigentum. -- AS 2006-08-08
Was sollen überhaupt all diese Zitierungen? Sollen das Autoritätsbeweise sein? Das Konzept von Ruben müsste grundlegend diskutiert werden und nicht einfach vorausgesetzt. Ich selbst habe mich mehrmals damit beschäftigt, es ist für mich weder philosophisch noch politökonomisch schlüssig und eher kontraproduktiv. -- AS 2006-08-08
- "Was sollen all diese Zitierungen" - ich mache mir diese Argumentationen zu eigen. Warum soll ich etwas mit anderen Worten sagen, wenn es bereits wohlgesetzte gibt? Insofern kein Autoritätsbeweis, sondern schlicht Zustimmung in dem Sinne, dass mein Kopf eine für ihn plausible Interpretation der Rubensschen Gedanken produziert, die mit eigenen Überlegungen sehr konform geht. Falls ich dabei zu viel in Ruben reinlese - es geht mir nicht um Ruben, sondern um die Gedanken in meinem Kopf. Im Gegensatz zu dir ging mir der Text "runter wie Öl" - wie du leicht bemerken kannst. Wenn du dich schon lange mit Ruben befasst hast, dann müsste es dir leicht fallen, meine Argumentationen auseinander zu nehmen. Oder sie sind für dich "kontraproduktiv". Wäre überhaupt nicht schlimm, dann sollten wir aber keine weitere Energie in das Unterfangen stecken, zu dem Thema ins Gespräch zu kommen. -- HGG 2006-09-01
Und (ruben-95) schließlich, nachdem er mit rein dimensionsanalytischen Argumenten nachgewiesen hat, dass in einer konsistenten Interpretation der Marxschen ökonomischen Theorie die Arbeitskraft keine Ware ist und folglich keinen Wert hat: "Statt vom 'Verkauf der Arbeitskraft' zu sprechen, können wir die alte deutsche Benennung Verdingen verwenden. Wer also einen Arbeitsvertrag schließt, verdingt sich, läßt sich in eine Leerstelle desjenigen Produktionssystems einsetzen, das der Eigner eingerichtet hat. Er erklärt sich damit als Träger genau derjenigen Arbeitsfähigkeit, die durch das Produktionssystem an sich bereits definiert ist. In diesem Verhältnis ist die Person, die sich verdingt hat, Träger einer Fähigkeit, die in der gemeinschaftlichen Arbeitsteilung des Betriebes erwartet wird.
Was der Einstellende für das erzeugte Produkt, das sein Eigentum ist, auf dem Markt einnimmt, ist sein Erlös (oder auch sein Verlust). Unabhängig von dieser Einnahme ist er auf jeden Fall, d.h. gleichgültig, zu welchem Preis er das Produkt veräußert, sofern er es überhaupt veräußert, zur Zahlung des vereinbarten Arbeitslohns verpflichtet. Ist er zahlungsunfähig, teilt der Arbeiter das Schicksal von Gläubigern, deren Schuldner Pleite gemacht haben. Ist er zahlungsfähig, so zahlt er in der Regel nicht aus dem Erlös der abgesetzten Produktion, sondern aus ihrem Vorschuß, den er aufbieten muß, um die fragliche Produktion überhaupt in Gang zu setzen." -- HGG 2006-08-06- Die Untersuchung der Begründung bei Ruben wäre ein interessantes Thema. Vor allem die Beschränkung auf die Analyse (siehe Fußtnote 11 auf S. 171, deutlich auch im Abschnitt 3 in Ruben 1995) - das völlige Beiseitelassen des "Werts als gesellschaftliches Verhältnis" sollte doch zu denken geben. (siehe sein Wertbegriff auf S. 181). Wieso wundert sich Ruben, dass Marxens Aussagen den "Wertbegriff schon voraus" setzen (ebd.: 172)? Natürlich setzen sie ihn voraus, denn Marxens Anliegen war die KRITIK der politischen Ökonomie des Kapitalismus und keine Ökonomie als empirische, messende und rechnende Wissenschaft, wie bei Ruben 1995, S. 174ff. Ruben hat mal eine gute Dissertation über die Bildung physikalischer Größen geschrieben (1969). Er wendet dies nun einfach auf ökonomische Fragen an und da wird es m.E. fehlleitend.
- Was soll damit ausgesagt werden, was folgt daraus - wenn es denn stimmt? -- AS 2006-08-08
- Hier die Essenz der zitierten Fußnote: "Der moderne Kommunismus ... setzt die industrielle Revolution und ihre sozialen Folgen voraus, auf die er reagiert." Dies schreibt Ruben als Abgrenzung von weiter zurück reichenden Kommunismuskonzepten und setzt den Beginn auf Babeufs "Manifest der Plebejer" von 1795.
"Beiseitelassen des Werts als gesellschaftliches Verhältnis" - das verstehe ich nicht. Spricht er nicht genau davon, wenn er etwa schreibt "Der Tauschwert ... ein Verhältnis, das beständig mit Zeit und Ort wechselt." Und dies hier: "Die Marxsche Wertlehre, obwohl sie im ersten Schritt völlig richtig den Tauschwert als Verhältnis charakterisiert, verliert im weiteren Gange diese Orientierung, um sich dann den Preis, der auch ein Verhältnis ist, als Wert zu suggerieren." Das berühmte und bis heute vielfach kritisierte Transformationsproblem aus (MEW 25, Kap. 9). Versucht Ruben nicht genau das konsistent(er) in den Blick zu bekommen?
"Wertbegriff schon voraussetzen": Hier ist m.E. genau zwischen empirisch-analytischem (eben "Ökonomie als messende und rechnende Wissenschaft") und logisch-analytischem Herangehen (Kritik der kategorialen Dimension ersterer) zu unterscheiden. Und (die hier relevanten Stellen bei) Marx und ihm folgend Ruben - auch (ruben-95) - versuchen zweiteres. Die Überlegungen bewegen sich auf der kategorialen Dimension. Dass eine kategoriale Fassung des Wertbegriffs den empirischen voraussetzt ist klar - wäre sonst Sophisterei. Ruben versucht zu rekonstruieren, wie Marx den Wertbegriff kategorial fasst. Spielt damit herum, verwendet u.a. seinen Ansatz der Dimensionsanalyse (m.E. ausschließlich im Sinne des "wenn schon die Dimensionen nicht stimmen ...") und kommt u.a. zum Schluss "Der Ausdruck 'x Ware A ist y Ware B wert' dagegen, von Marx als Interpretation des ersteren verwendet, ist völlig akzeptabel, macht aber gleichzeitig klar, daß die Wertvorstellung ohne Wertbegriff, d. h. ohne Definition des Werts, bereits (prädikativ) verwendet wird." -- HGG 2006-09-01
- Hier die Essenz der zitierten Fußnote: "Der moderne Kommunismus ... setzt die industrielle Revolution und ihre sozialen Folgen voraus, auf die er reagiert." Dies schreibt Ruben als Abgrenzung von weiter zurück reichenden Kommunismuskonzepten und setzt den Beginn auf Babeufs "Manifest der Plebejer" von 1795.
- Das setzt alles bereits eine Gesellschaftsform voraus, in der vereinzelt produziert und dann über Tausch "vergesellschaftet" wird. Dieses gesellschaftliche Verhältnis wird "naturalisiert", als unveränderbar dargestellt. Das kann man machen, aber ich teile diese Auffassung nicht. -- AS 2006-08-08
(1.2) "... unter eine bestimmte, ihm aufgezwungene Tätigkeit, eine Subsumtion, die den Einen zum bornierten Stadttier, den Andern zum bornierten Landtier macht und den Gegensatz der Interessen Beider täglich neu erzeugt. Die Arbeit ist hier wieder die Hauptsache, die Macht über den Individuen, und solange diese existiert, solange muß das Privateigentum existieren." (MEW 3: S. 32) -- Quelle (wak:UW 24.07.2006)
- Andere Sicht: Die Menschheit als Gattung entwickelt sich vom Einzeller zum Mehrzeller. Die Schnittstelle zwischen beiden muss "spezifiziert" werden. Geht leider nicht wie in der Informatik durch eine externe Autorität (den Modellierer). Allerdings bedarf es aus Gründen der Komplexitätsreduktion und der Herausbildung der Grenze mit eigenständiger Funktionalität schon einer Entkopplung "als sachliches Verhältnis". -- HGG 2006-08-06
- Wir können hier beliebig "andere Ansichten" neben einander stellen. Mit Deiner jedoch kann ich überhaupt nichts anfangen. Der erste Satz ist sogar als Metapher völlig daneben. Und dass "Komplexitätsreduktion" ein "sachliches Verhältnis" braucht, wäre mir eine völlig neue Behauptung innerhalb der Komplexitäts- und Selbstorganisationstheorie -- AS 2006-08-08
- Die Metapher bezieht sich auf das Phänomen der Ausdifferenzierung. Die angebliche "Borniertheit" von "Stadttier" und "Landtier" resultiert zu einem guten Teil aus der unterschiedlichen funktionalen Stellung im "Gesellschaftskörper", die zu verschiedenen Seinsformen führen und schließlich auch zu verschiedenen Seinsstrukturen - eben Gemeinschaften im Plural. Analog (auf phänomenologischer Ebene) zu den Ausdifferenzierungsprozessen der Zellen in einem mehrzelligen Organismus. Und das hat dort (in der Biologie) was mit Komplexitätsreduktion (längs Zell- und Organgrenzen) und Versachlichung (etwa Rolle von Botenstoffen) zu tun, oder? -- HGG 2006-09-01
- Wir können hier beliebig "andere Ansichten" neben einander stellen. Mit Deiner jedoch kann ich überhaupt nichts anfangen. Der erste Satz ist sogar als Metapher völlig daneben. Und dass "Komplexitätsreduktion" ein "sachliches Verhältnis" braucht, wäre mir eine völlig neue Behauptung innerhalb der Komplexitäts- und Selbstorganisationstheorie -- AS 2006-08-08
(1.3) "Die Verwandlung der persönlichen Mächte (Verhältnisse) in sachliche durch die Teilung der Arbeit kann ... nur dadurch [aufgehoben werden - UW], daß die Individuen diese sachlichen Mächte wieder unter sich subsumieren und die Teilung der Arbeit aufheben. Dies ist ohne die Gemeinschaft nicht möglich. ... In der wirklichen Gemeinschaft erlangen die Individuen in und durch ihre Assoziation zugleich ihre Freiheit." (MEW 3: S. 32) -- Quelle (wak:UW 24.07.2006)
- Was dies auch immer bedeuten möge - denn hinter die Versachlichungsgründe der Komplexitätsreduktion kann man ja nicht zurück. -- HGG 2006-08-06
- Klar, wenn Du die "Versachlichung der Komplexitätsreduktion" als allgemein notwendig annimmst, kannst Du nicht darüber hinausdenken. Überhaupt ist die unkritische Übernahme von Begriffen aus beschränkten Fachbereichen - wie "Komplexitätsreduktion" aus der abstrakten Systemtheorie - fragwürdig. -- AS 2006-08-08
(1.4) materielle/geistige Arbeit: "Die Teilung der Arbeit wird erst wirklich Teilung von dem Augenblicke an, wo eine Teilung der materiellen und geistigen Arbeit eintritt." (MEW 3: S. 31) -- Quelle (wak:UW 24.07.2006)
- Hier lohnt das Weiterlesen: "Von diesem Augenblicke an kann sich das Bewußtsein wirklich einbilden, etwas Andres als das Bewußtsein der bestehenden Praxis zu sein, wirklich etwas vorzustellen, ohne etwas Wirkliches vorzustellen - von diesem Augenblicke an ist das Bewußtsein imstande, sich von der Welt zu emanzipieren und zur Bildung der 'reinen' Theorie ... überzugehen. Aber selbst wenn diese Theorie ... in Widerspruch mit den bestehenden Verhältnissen treten, so kann dies nur dadurch geschehen, daß die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse mit der bestehenden Produktivkraft in Widerspruch getreten sind."
In diesem Sinne ist Bewusstsein = Erinnerung, Präsenz des Vergangenen in der Gegenwart (denn diesen Rahmen kann selbst Imagination nicht sprengen); allerdings findet diese je Begegnung im je Inneren des einzelnen Individuums statt, so dass die "Teilung der materiellen und geistigen Arbeit" niemals eine vollständige war. Jedenfalls, wenn Arbeit nicht auf Erwerbsarbeit reduziert, sondern als "tätige Auseinandersetzung mit den eigenen Lebensbedingungen" verstanden wird. -- HGG 2006-08-06Insofern geht es nicht darum, "daß die Teilung der Arbeit [in geistige und materielle Tätigkeit - meint das Marx hier? HGG] wieder aufgehoben wird", sondern verstanden wird, dass es (auch) bei dieser Art von "Teilung der Arbeit" nicht um "Teilung der Arbeit in geistige und materielle" geht. Sondern um die immer weitere Ausprägung der "Mehrzelligkeit" des "Gesellschaftskörpers", in dem jede Zelle geistige und materielle Aspekte sowohl im ihrem Inneren als auch an der Schnittstelle zu organisieren hat. -- HGG 2006-08-06
(1.5) "Die große Industrie ... nahm der Teilung der Arbeit den letzten Schein der Naturwüchsigkeit. Sie vernichtete überhaupt die Naturwüchsigkeit, soweit dies innerhalb der Arbeit möglich ist, und löste alle naturwüchsigen Verhältnisse in Geldverhältnisse auf." (MEW 3: S. 60) -- Quelle (wak:UW 24.07.2006)
- "und löste alle naturwüchsigen Verhältnisse [der Arbeitsteilung? - HGG] in Geldverhältnisse auf" - den Satz verstehe ich überhaupt nicht. Inwiefern sind Verhältnisse der Arbeitsteilung "naturwüchsig" und nicht immer von Menschen gemacht? Geht es bei Marx nicht immer darum, dass diese Verhältnisse nur naturwüchsig erscheinen? Bezieht sich das "... und alle naturwüchsigen Voraussetzungen zum ersten Mal mit Bewußtsein als Geschöpfe der bisherigen Menschheit behandeln" (MEW 3: S. 70) nur auf die kapitalistischen Verhältnisse? Und umgekehrt, sind die Geldverhältnisse nicht genauso "naturwüchsig" wie alle Verhältnisse vor ihnen auch? Eine Reaktion auf die Erfordernisse der Organisation der Produktion auf einem gewissen Stand der Produktivkräfte? Ein Stand, dessen Dynamik über die Jahrtausende nicht besser beschrieben werden kann als dies Eben Moglen (moglen-03) tut: "and the water still continues to rise" - und das Wasser steigt und steigt? Und spült jeden Damm von "Produktionsorganisaton", den Menschen errichten, letztendlich weg und zwingt die Menschen, einen neuen Damm zu bauen. Und ist ein solcher Damm nicht die Geldwirtschaft? Und schwappt das Wasser nicht schon grade wieder über den Deich und die letzten Sandsäcke neoliberaler Ideologen helfen auch nix? Und ist nicht genau das der Grund, weshalb der Kapitalismus seine eigene Produktionsorganisation dauernd revolutioniert (und dies - erstaunlicherweise - kann). -- HGG 2006-08-06
Aneignung
(2.1) ... diese Aneignung ist nichts weiter als die Entwicklung der individuellen Fähigkeiten, die den materiellen Produktionsinstrumenten entsprechen = Entwicklung einer Totalität von Fähigkeiten in den Individuen selbst -- Quelle (wak:UW 24.07.2006)
- Hier ist unbedingt (MEW 23: S. 407, Fußnote) zu ergänzen: "'Kapitalistische' Aneignung und 'persönliche' Aneignung, sei es von Wissenschaft, sei es von materiellem Reichtum, sind aber ganz und gar disparate Dinge." -- HGG 2006-08-06
(2.2) dies bestimmt durch die aneignenden Individuen: Nur Proletarier sind dazu befähigt ... -- Quelle (wak:UW 24.07.2006)
- Das ist eine Fehlleistung von Marx, denn diese Form der Aneignung gab es auch schon vor dem Kapitalismus und ist nicht ans Proletariat gebunden, sondern hat etwas mit (1.4) zu tun. Eben Moglen (moglen-03) präzisiert "Proletarier" zu "Creators". Die Marxschen Schlussfolgerungen tangiert das weitgehend nicht, außer dass er zeitbedingt keine Ahnung davon hat, wie die "Aneignung der totalen PK durch die vereinigten Individuen" praktisch aussehen kann. Denn sie hebt ja die "Mehrzelligkeit" des Gesellschaftskörpers und folglich auch das Innen und Außen der einzelnen "Zellen" nicht auf. Marx folgt hier m.E. einem vollkommen naiven Totalitätsbegriff. -- HGG 2006-08-06
(2.3) "Es ist also jetzt so weit gekommen, daß die Individuen sich die vorhandene Totalität von Produktivkräften aneignen müssen, nicht nur um zu ihrer Selbstbetätigung zu kommen, sondern schon überhaupt um ihre Existenz sicherzustellen. Diese Aneignung ist zuerst bedingt durch den anzueignenden Gegenstand - die zu einer Totalität entwickelten und nur innerhalb eines universellen Verkehrs existierenden Produktivkräfte." (MEW 3: S. 67) -- Quelle (wak:UW 24.07.2006)
- Hier wird nicht genügend unterschieden zwischen den Individuen als Konkreta und der Menschheit als Gattung. Vor dieser Totalitätsanforderung steht die Menschheit als Gattung - eben der "Gesellschaftskörper" (und vor der steht sie heute in der Tat mit aller Nachdrücklichkeit), aber sie prozessiert sich in den "Zellen" dieses "Körpers" und letztlich durch die konkreten Individuen, die sich mitnichten die PK in einer solchen Totalität aneignen können. Hier kommt das Korngrößendilemma (graebe-mawi) ins Spiel, das Marx m.E. nicht gesehen hat. -- HGG 2006-08-06
- Du stellst das so dar, als wäre nur das Individuum konkret und die Gattung nicht. Das ist eine naive Vorstellung von "Konkretheit". Dialektisch betrachtet sind alle Totalitäten konkret-(allgemein) und das Einzelne als Einzelnes ist z.B. abstrakt. Totalitäten sind alle sich widersprüchlich entwickelnden Entitäten, also Gattungen wie auch Individuen. Sie jeweils zu _begreifen_ erfordert, sie als Totalitäten, als sich widersprüchlich entwickelnd zu erfassen. Gerade die Gesellschaftstheorie muss die widersprüchliche Verflochtenheit von Individuen und Gesellschaft als Ganzes in den Blick nehmen und wird dabei grundsätzlich zu anderen Ergebnissen kommen als eine biotische Theorie, deren Gegenstände "Zellen", "Organismen", "Populationen" usw. sind, die sich deswegen grundsätzlich nicht als Analoga für menschliche Beziehungen eignen. -- AS 2006-08-08
(2.4) "Alle früheren revolutionären Aneignungen waren borniert; Individuen, deren Selbstbetätigung durch ein beschränktes Produktionsinstrument und einen beschränkten Verkehr borniert war, eigneten sich dies beschränkte Produktionsinstrument an und brachten es daher nur zu einer neuen Beschränktheit." (MEW 3: S. 68) -- Quelle (wak:UW 24.07.2006)
- Genau das ist ein Beleg für meine These, dass Marx gar nicht begreift, dass sich diese Form der Beschränktheit schlicht aus der Beschränktheit individueller menschlicher Intellektualität ergibt, und diese nur transzendiert werden kann, wenn die Menschen in der Lage sind, kollektive Vernunftformen zu entwickeln. Aber das tun sie seit Jahrtausenden in Form der Wissenschaft(en). Deren Bewegungsformen - insbesondere der freizügige "lesende" Zugriff auf sämtliche Wissensressourcen der Menschheit - ist für diese kollektiven Vernunftformen konstituierend. -- HGG 2006-08-06
(2.5) "Erst auf dieser Stufe fällt die Selbstbetätigung mit dem materiellen Leben zusammen, was der Entwicklung der Individuen zu totalen Individuen und der Abstreifung aller Naturwüchsigkeit entspricht; und dann entspricht sich die Verwandlung der Arbeit in Selbstbetätigung und die Verwandlung des bisherigen bedingten Verkehrs in den Verkehr der Individuen als solcher. Mit der Aneignung der totalen Produktivkräfte durch die vereinigten Individuen hört das Privateigentum auf." (MEW 3: S. 68) -- Quelle (wak:UW 24.07.2006)
- Eigentlich müsste ja hier nun über diesen "Verkehr", dessen Struktur, Voraussetzungen etc. geredet werden. Insbesondere, inwieweit (Privat)-Eigentum im Sinne von (1.1) konstitutiv für diesen "Verkehr" ist; denn in dieser Gesellschaft - nochmal Verweis auf (1.1) - ist es das zweifelsohne. Der Schluss hier geht also eindeutig zu schnell und ist m.E. schlicht falsch. -- HGG 2006-08-06
Individuum
(3.1) "... ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, daß der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm." (W. Benjamin)
UW kommentiert: Die "einfache" ungeheure Anforderung, diese "Vorgeschichte" der Menschheit zu überschreiten und zur eigentlichen menschlichen Geschichte zu kommen, bedeutete in diesem Bild: Sich umdrehen. Durch den Wind der Geschichte nicht mehr mit dem Rücken, nicht mehr eigentlich handlungsunfähig in eine naturwüchsig wuchernde Zukunft getrieben zu werden. Selbst gemeinschaftlich Gestalter werden, mit den bewusst produzierten Verhältnissen sich und die anderen Menschen selbst entwerfen, sozusagen Gott "spielen". Damit allerdings auch die ganze Verantwortung auch für Fehlentscheidungen übernehmen.
Das Problem erscheint mir nicht so sehr, die Flügel in diesem starken Sturm, in dem mensch voll zu tun hat, sich überhaupt noch zu halten, kurzzeitig zu schließen, um sich umdrehen zu können. Es ist wohl vielmehr die Angst vor dem Unbekannten, vor der Entwertung bisheriger Leistungen, sich in der menschlichen Trümmerlandschaft noch zu halten, vor der Dynamik des Segelns mit dem Wind und den völlig neuem Maßstäben für die eigene Selbstachtung. -- Quelle (wak:UW 24.07.2006)
- Das greift m.E. deutlich zu kurz, siehe (graebe-ccthesen: These 2 bis 5). Es geht (wenigstens) auch um die Krise der Industriegesellschaft; die Krise eines rationalen Vernunftbegriffs; den Menschen in seinem Hamsterrad; den "Riß im System des Stoffwechsels zwischen menschlicher Gesellschaft und Umwelt"; die "Täuschungen des sechsten Sinnes"; die Entfaltung einer primär aus der eigenen Lebenspraxis gespeisten kritischen Vernunft; die 'narzistischen Kränkungen', welche wissenschaftliche Forschungen seit Kepler und Kopernikus den menschlichen Subjekten zugefügt haben; die "Einheit von Tugend und Glückseligkeit" im Sinne des späten Kant usw. Kurz - Gott spielen (1. Moses 3,5) ist out. Erst wenn die Menschheit als Gattung das aktiv "verinnerlicht" hat, "wird er bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein." (Offenbarung 21,3) In dieser mehrtausendjährigen Spanne ist das Problem erst wirklich zu verstehen. Es ist kein innerkapitalistisches. -- HGG 2006-08-06
(3.2) "Mit dem Gelde ist jede Verkehrsform und der Verkehr selbst für die Individuen als zufällig gesetzt. Also liegt schon im Gelde, daß aller bisherige Verkehr nur Verkehr der Individuen unter bestimmten Bedingungen, nicht der Individuen als Individuen war. Diese Bedingungen sind auf zwei - akkumulierte Arbeit oder Privateigentum, oder wirkliche Arbeit - reduziert. Hört diese oder eine von ihnen auf, so stockt der Verkehr." (MEW 3: S. 66) -- Quelle (wak:UW 24.07.2006)
- Ja, wieso das? Treffen sich nicht zwei "auf dem Markt", um was Konkretes zu verhandeln? Ist es wirklich "vollkommen zufällig", womit ich Geld verdiene? Bin ich als Autobauer nicht doppelt daran gebunden, mein Geld mit Autobauen zu verdienen - auch wenn Autos grade eben so was von out sind? Einmal, weil ich (nur) Autobauen besonders gut kann und zweitens, weil ich ja vor zwei Jahren in diese "Sch.."-Fabrik investiert habe? Wirft hier Marx nicht Form und Inhalt so gründlich in einen Topf wie ich es nicht mal einem Seminaristen durchgehen lassen würde? Klar bestimmt die Form ganz wesentlich, welche Inhalte ich überhaupt transportieren kann. Aber die Inhalte sind doch auch jenseits dessen nicht beliebig, sondern durch komplexe Kontexte der jeweiligen konkreten Kommunikationserfordernisse beschränkt. Diese Beliebigkeit gilt doch einzig in der Finanzsphäre, wo es wirklich nur noch um Geld geht. Und eigentlich nicht mal da. -- HGG 2006-08-06
Korngrößendilemma - das Besondere am Kapitalismus
(4.1) (A) "Es zeigen sich hier also zwei Fakta. Erstens erscheinen die Produktivkräfte als ganz unabhängig und losgerissen von den Individuen, als eine eigne Welt neben den Individuen, was darin seinen Grund hat, daß die Individuen, deren Kräfte sie sind, zersplittert und im Gegensatz gegeneinander existieren, während diese Kräfte andererseits nur im Verkehr und Zusammenhang dieser Individuen wirkliche Kräfte sind. ... In keiner früheren Periode hatten die Produktivkräfte diese gleichgültige Gestalt für den Verkehr der Individuen als Individuen angenommen ... abstrakte Individuen ..., die aber dadurch erst in den Stand gesetzt werden, als Individuen miteinander in Verbindung zu treten."
(B) "Der einzige Zusammenhang, in dem sie noch mit den Produktivkräften und mit ihrer eignen Existenz stehen, die Arbeit, hat bei ihnen allen Schein der Selbstbetätigung verloren und erhält ihr Leben nur, indem sie es verkümmert."
(C) "Während in den früheren Perioden Selbstbetätigung und Erzeugung des materiellen Lebens dadurch getrennt waren, daß sie an verschiedene Personen fielen und die Erzeugung des materiellen Lebens wegen der Borniertheit der Individuen selbst noch als eine untergeordnete Art der Selbstbetätigung galt, fallen sie jetzt so auseinander, daß überhaupt das materielle Leben als Zweck, die Erzeugung dieses materiellen Lebens, die Arbeit (welche die jetzt einzig mögliche, aber wie wir sehn, negative Form der Selbstbetätigung ist), als Mittel erscheint." (MEW 3: S. 67) -- Quelle (wak:UW 24.07.2006)
- Ja, ist das nicht die Folge der Antwort auf das Korngrößendilemma? Weg von Subsistenz als Hauptversorgungsform hin zu Spezialistentum auch in der "Erzeugung dieses materiellen Lebens" (und nicht nur bei exotischen und spezifischen Bedürfnissen - etwa, wenn ich einen neuen Wasserkrug brauche, den ich auch vor dem Kapitalismus wohl auf dem Markt erstanden habe)? Ist nicht (A) ein allgemeines und (B) ein typisch kapitalistsiches Phänomen? Und (C) eine ganz komische Mischung von beidem? -- HGG 2006-08-06
Ist nicht das Folgende aus (graebe-mawi) eine ganz andere Lesart desselben Phänomens? "Und ein zweites zivilisatorisches Moment bringt dieser Markt mit sich: Er zwingt die am Markt agierenden Produzenten, sich - unter Androhung des Entzugs der eigenen Existenzgrundlage - für die Bedürfnisse anderer Produzenten zu interessieren, und legt so den Keim für ein neues WIR, das erst in einer wirklich Freien Gesellschaft zur vollen Entfaltung kommen wird. Er zwängt damit in einer jahrtausendelangen Entwicklung auch psychologisch ganz anders konstituierte, obrigkeits- und kommandogewohnte Individuen auf den Weg der Selbstfindung, der später - reflektiert - in die bewusste politische Gestaltung von Gesellschaft münden kann." -- HGG 2006-08-06
Und ist hier nicht Peter Rubens Unterscheidung zwischen Individuum und Person zu treffen (ruben-98)? "Denn das Individuum ... ist Element der Gemeinschaft, sein letzter unteilbarer Teil, gegen den sie das Ganze ist. In der Gesellschaft aber, wenn sie durch den Austausch konstituiert wird, determinieren sich die tauschenden Einzelmenschen als Personen ..., d.h. als Vertragspartner. Die Gemeinschaft kann sehr wohl Personen produzieren. Sie tut es dann, wenn ihr Gemeinwesen Individuen aus der Gemeinschaft zu Vertragspartnern seiner selbst macht, z. B. durch Ausschreibung von Projekten, um deren Realisierung sich Individuen bewerben können. Das ist zuerst in Rom geschehen, wo sich Römer zur Unterhaltung der Armee im Kriege gegen Karthago um die Lieferung von Lebensmitteln über See im Auftrage des Staates zur societas zusammenschlossen. Und selbstverständlich verwirklichen sich Einzelmenschen im Fernhandel auf eigene Rechnung als Personen, indem sie unabhängig von ihren Gemeinschaften mit Fremden Verträge abschließen. Das bedeutet nicht, daß sie dadurch etwa aufhören, Individuen ihrer Gemeinschaften zu sein. Vielmehr handelt es sich darum, daß die Bestimmungen des Individuums und der Person den Einzelmenschen in ihren Bindungen zukommen, die wir Gemeinschaft und Gesellschaft nennen. Diese Bindungen sind nicht aufeinander reduzierbar, bilden vielmehr einen unaufhebbaren dualen Gegensatz, der dem Gegensatz zwischen Produktion und Austausch entspricht. Das Individuum ist daher nicht das gesellschaftliche Wesen, sondern nie etwas anderes als die Einzelinstanz einer Gemeinschaft. Und das gesellschaftliche Wesen ist der Austausch, der ebenso von Gemeinwesen wie von Personen realisiert wird." -- HGG 2006-08-06
- Ich finde diese Begrifflichkeit nicht hilfreich. Da wird unterstellt, Individuen würden sich nur in Gemeinschaften bilden, nicht durch ihre Gesellschaftlichkeit - während Gesellschafltichkeit nur durch personenbezogenen Tausch konstituiert wären. -- AS 2006-08-08
(4.2) "Im Stand (mehr noch im Stamm) ist dies noch verdeckt, z.B. ein Adliger bleibt stets ein Adliger, ... von seiner Individualität unzertrennliche Qualität. Der Unterschied des persönlichen Individuums gegen das Klassenindividuum, die Zufälligkeit der Lebensbedingungen für das In[dividuum] tritt erst mit dem Auftreten der Klasse [ein], die selbst ein Produkt der Bourgeoisie ist. Die Konkurrenz und der Kampf [der] Individuen untereinander erz[eugt und en]twickelt erst diese Zufälligkeit als solche. In der Vorstellung sind daher die Individuen unter der Bourgeoisieherrschaft freier als früher..." (MEW 3: S. 76) -- Quelle (wak:UW 24.07.2006)
- Ja klar, Können (Creators) gewinnt bereits hier die Oberhand über die für Subsistenz typische Ortszentriertheit. Es zählt bereits hier viel mehr, was du kannst als was du bist. Die Zeit des Kapitalismus ist allerdings eine Übergangszeit, durch die unbegrenzte Akkumulierbarkeit des Geldes lässt sich noch immer Können durch Haben substituieren. Aber, wie Spehr in (spehr-99) schreibt, die Reichen trauen sich immer weniger, ihren Reichtum zu exponieren. Statt dessen legen sie heute viel Wert darauf darzustellen, dass sie "Menschen sind wie du und ich". Und dass Können gegenüber der - mit einem Zeitmaß messbaren - "Verausgabung einfacher Arbeitskraft, die im Durchschnitt jeder gewöhnliche Mensch, ohne besondere Entwicklung, in seinem leiblichen Organismus besitzt" (MEW 23: S. 59) ständig an Bedeutung gewinnt, muss ich sicher nicht belegen. -- HGG 2006-08-06
(4.3) "Die Bedingungen, unter denen die Individuen, solange der Widerspruch [zwischen PK/Individuen und PV in jeder neuen Epoche - UW] noch nicht eingetreten ist, miteinander verkehren, sind zu ihrer Individualität gehörige Bedingungen, nichts Äußerliches für sie..." (MEW 3: S. 72) -- Quelle (wak:UW 24.07.2006)
- Ja klar, sie haben sich ja (nur) für sich selbst interessiert. Und nun sollen sie sich auf einmal (primär) für die Bedürfnisse anderer Produzenten interessieren, weil der Stand der PK das arbeitsteilige Vorgehen bis tief hinein in die "Erzeugung des materiellen Lebens" auf die Tagesordnung setzt. Einer (Bäcker Brot backen) beherrscht einen Aspekt der "Erzeugung des materiellen Lebens" besonders gut und der Stand der PK ist so weit, dass er das "mit links" für viele andere mitmachen kann. Bzw. - aus Sicht des Einsatzes der (komplizierten und damit teuren) "Agentien" und damit aus gesamtgesellschaftlichen Effizienzgründen - machen muss. Ein so kompletter Bruch mit Traditionen, den es weder vorher noch nachher gibt. Der Bruch kommt also mit dem Kapitalismus und nicht mit dessen Ende. Mit dem Kapitalismus kommt die Menschheit in die Pubertät, die Phase des Erwachsenwerden. Deshalb meine These: "Kapitalismus als pubertäre Form einer Freien Gesellschaft". -- HGG 2006-08-06
(4.4) UW: Wie kommt es im Proletarier zu dieser wundersamen Verwandlung: eben noch als Proletarier zufälliges, jetzt, als revolutionärer Proletarier persönliches Individuum? -- Quelle (wak:UW 24.07.2006)
- Indem er sich dieses Bruches in seinem Selbst bewusst wird. Da das Selbst zwar individuell ist, aber es in eine Gesellschaft hineinwächst, welche diesen Bruch selbst noch nicht verarbeitet hat, kann es den Bruch nicht in Eigenleistung verarbeiten. Diese "psychische Umpolung" ist nur als kollektive Leistung denkbar und meine These - dafür ist der Kapitalismus da. Noch mal "Kapitalismus - die Pubertät der Menschheit". -- HGG 2006-08-06
(4.5) UW: Marx hat eine Ahnung von diesem Bruch, den er da denkt: Die Revolution ist ihm nicht nur zum Umwälzen aller materiellen Existenzbedingungen erforderlich, sondern auch und vor allem zur Revolution im Denken, in den Mentalitäten der handelnden Akteure selbst. Marx gibt keinerlei Hinweis, wie, in welchen Formen dieses Umschlagen vom entleertesten, zufälligsten Individuum, das es gibt, dem Proletarier, hin zum persönlichen Individuum erfolgen kann. -- Quelle (wak:UW 24.07.2006)
- Weil er nicht versteht, dass hierfür eine Synthese von Marxscher Gesellschaftsanalyse und Freudscher Psychoanalyse erforderlich ist. Genauer ausargumentiert in (hoevels-83). -- HGG 2006-08-06
(4.6) UW: Diese Entwicklung, die wir heute in den Bereichen der größten Produktivkraftsprünge tatsächlich erleben, führt aber nicht dazu, dass sich die Proletarier assoziieren, um die kapitalistische Produktionsweise umzuwälzen, sondern dass sie ihre Existenz als Proletarier massenhaft verlieren oder ihre bisherigen Existenzbedingungen zäh verteidigen.
- Weil es nicht um "Bourgeois und Proletarier" (MEW 4: S. 462) geht, sondern um "Creators and Owners" (moglen-03) und genau die Proletarier, welche heute die wenigen Arbeitsplätze verteidigen, auf denen man noch rufen kann "He, Chef", eher Owner als Creator sind. "Das Wasser steigt und steigt ..." -- HGG 2006-08-06
(4.7) UW: Die heutigen "Deserteure" gestalten solche Praxen, in denen Keime einer anderen Form von Vergesellschaftung stecken. Bewusst oder unbewusst, mehr oder weniger steckt in allen Menschen ein solches Stück Desertation und zwar in dem Maße, wie sie sich der Kapitalisierung in die Tiefe aller menschlichen Beziehungen verweigern, wie die ihre eigene Lebens-/Selbstbetätigungsweisen dagegen setzen oder bewahren, wie sie sich in Gemeinschaften außerhalb der kapitalistischen Wertbeziehungen wichtige Bedürfnisse erfüllen. -- Quelle (wak:UW 24.07.2006)
- Noch interessanter finde ich diejenigen "Deserteure", die in der Lage bzw. gezwungen sind, auch die kapitalistische Wertform für ihr Desertieren produktiv zu machen. Etwa Prof. Reinhold Krampitz von ENA Mittelland-Barleben; Abstract siehe Panel 2-1 im Reader der Chemitzer Konferenz 2005, http//www.hg-graebe.de/Texte/RLKonf-2005.html: "Das Land braucht den Kompetenzreichtum der KM-Unternehmer und ihrer Mitarbeiter, wofür mit den Berufsverbänden und im Konsens mit den Gewerkschaften eine politische Sprache gefunden werden muss für die Ausformung einer neuen 'Effizienzgesellschaft'." -- HGG 2006-08-06
(4.8) .... kann die "Subsumtion der Individuen unter bestimmte Klassen nicht eher aufgehoben werden, als bis sich eine Klasse gebildet hat, die gegen die herrschende Klasse kein besonderes Klasseninteresse mehr durchzusetzen hat." (MEW 3: S. 77?) -- Quelle (wak:UW 24.07.2006)
- Nein, sondern bis sich Verhältnisse herausgebildet haben, in denen es keine herrschende Klasse mehr gibt. Das kann man nicht nur durch Abschaffen der herrschenden Klasse erreichen, sondern auch, indem sie auf alle Menschen ausgedehnt wird. Mehr noch, das Abschaffen einer herrschenden Klasse barg bisher immer den Keim einer neuen herrschenden Klasse in sich. Und selbst bei den Proletariern war es nicht anders. Also den Knoten im Kopf entknoten! Und dann ist auch vollkommen klar, dass wir in dieser "gemeinsamen Herrschaft" über unsere eigenen Existenzbedingungen ganz viele Instrumente verwenden werden, welche die heute Herrschenden auch schon verwenden. Einschließlich einer modifizierten Wertform. Noch mal "Kapitalismus - die Pubertät der Menschheit". -- HGG 2006-08-06
(4.9) UW: Dieses Neue, was zunächst in Keimform entsteht, kann nicht mit den Kategorien der bürgerlichen Gesellschaft erfasst werden, auch nicht mit denen ihrer Selbstkritik, also nicht mit denen der Arbeiterbewegung oder anderer innerkapitalistischer sozialer Kämpfe. Politik, Staat, Ökonomie und Arbeit sind nicht die Felder, in denen solches Neue entstehen kann. Das ist von vornherein nur existent als die praktische Aufhebung aller Formen von Politik, Ökonomie und Arbeit. -- Quelle (wak:UW 24.07.2006)
- Uli, an der Stelle gehen unsere Folgerungen dann diametral auseinander. Eben "WiK versus WaK". -- HGG 2006-08-06
Verhältnis von Sein und Bewusstsein
(5.1) "Die gesellschaftliche Gliederung und der Staat gehen beständig aus dem Lebensprozeß bestimmter Individuen hervor; aber dieser Individuen, nicht wie sie in der eignen oder fremden Vorstellung erscheinen mögen, sondern wie sie wirklich sind, d.h. wie sie wirken, materiell produzieren, ..." (MEW 3: S. 25) -- Quelle (wak:UW 29.06.2006)
- Dies bedeutet, dass auch umgekehrt die Menschen selbst zwischen diesem "wirklich sein" und "in der Vorstellung erscheinen" unterscheiden (lernen) müssen. -- HGG 2006-08-06
Verweis auf (graebe-ccthesen: These 5): Vernünftiges Handeln ist damit nicht mehr allein als Aufdecken und Befolgen der Gesetze einer externen Ratio möglich, sondern nur noch als kritisches Verhältnis zum Schein einer solchen Ratio in uns selbst.
Es gilt, "jene Anspannung der Reflexion zu leisten, die ein Begriff von Wahrheit fordert, der nicht dinghaft und abstrakt der bloßen Subjektivität gegenübersteht, sondern sich entfaltet durch Kritik, kraft der wechselseitigen Vermittlung von Subjekt und Objekt." (Adorno)
Ein solcher mit Anspannung verbundener kritischer Gebrauch der Vernunft ist dem Menschen nicht angeboren, sondern wächst historisch erst mit ausreichender sinnlicher Erfahrung der "Früchte vom Baum der Erkenntnis", der konstruktiven und destruktiven Seite des Gebrauchs von Vernunft überhaupt. Kapitalismus ist in diesem Sinne die pubertäre Form einer Vernunftgesellschaft. -- HGG 2006-08-06
(5.2.) Helmut Seidel wies unter ausdrücklichem Bezug auf ThF und DI in der Diskussion über den Praxisbegriff in der marxistischen Philosophie der DDR in den 1960er Jahren nach, das Aussagen über Gegenstände/Gesetzmäßigkeiten außerhalb dieser so verstandenen Wirklichkeit scholastischen Charakter tragen. Dies hätte für die Lehre wie für die politische Praxis negative Konsequenzen. (Helmut Seidel, Vom praktischen und theoretischen Verhältnis der Menschen zur Wirklichkeit. Zur Neuherausgabe des Kapitels I des I. Bandes der Deutschen Ideologie von K. Marx und F. Engels. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Heft 10/1966, S. 1177-1191. VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin (DDR). Skript: Horst Müller, Nürnberg 2001.) -- Quelle (wak:UW 29.06.2006)
(5.3) "Die Ideen und Gedanken der Menschen waren natürlich Ideen und Gedanken über sich und ihre Verhältnisse, ihr Bewußtsein von sich, von den Menschen, denn es war ein Bewußtsein nicht nur der einzelnen Person, sondern der einzelnen Person im Zusammenhange mit der ganzen Gesellschaft und von der ganzen Gesellschaft, in der sie lebten. Die von ihnen unabhängigen Bedingungen, innerhalb deren sie ihr Leben produzierten, die damit zusammenhängenden notwendigen Verkehrsformen, die damit gegebenen persönlichen und sozialen Verhältnisse, mußten, soweit sie in Gedanken ausgedrückt wurden, die Form von idealen Bedingungen und notwendigen Verhältnissen annehmen, d.h. als aus dem Begriff des Menschen, dem menschlichen Wesen, der Natur des Menschen, dem Menschen hervorgehende Bestimmungen ihren Ausdruck im Bewußtsein erhalten. Was die Menschen waren, was ihre Verhältnisse waren, erschien im Bewußtsein als Vorstellung von dem Menschen, von seinen Daseinsweisen oder von seinen näheren Begriffsbestimmungen. Nachdem die Ideologen nun vorausgesetzt hatten, daß die Ideen und Gedanken die bisherige Geschichte beherrschten, daß ihre Geschichte alle bisherige Geschichte sei, nachdem sie sich eingebildet hatten, die wirklichen Verhältnisse hätten sich nach dem Menschen und seinen idealen Verhältnissen, id est Begriffsbestimmungen gerichtet, nachdem sie überhaupt die Geschichte des Bewußtseins der Menschen von sich zur Grundlage ihrer wirklichen Geschichte gemacht hatten, war Nichts leichter als die Geschichte des Bewußtseins, der Ideen, des Heiligen, der fixierten Vorstellungen Geschichte 'des Menschen' zu nennen und diese der wirklichen Geschichte unterzuschieben." (MEW 3:S. 167) -- Quelle (wak:UW 27.07.2006)
(5.4.) UW: Wenn ich um diese Konstruktion weiß, d.h. um den tatsächlichen Zusammenhang zwischen Bewusstsein, Begriffen und Wirklichkeit, dann muss ich mich zur sogenannten Geschichte der Ideen, Begriffe, die die Wirklichkeit angeblich bestimmen, so verhalten:
1. Ich unterstelle, dass dieser Bewusstseins-Geschichte eine reale Geschichte zugrunde liegt.
2. Damit habe ich eine doppelte Aufgabe:
a) Ich muss in die tatsächliche Geschichte einsteigen, die Geschichte des Gegenstandes selbst.
b) Ich muss zugleich verstehen, nachvollziehen können, warum die wirkliche Geschichte die jeweils verkehrte Darstellung hervorbrachte und in welchen Formen das geschah, in welchem Sinne darin eine gewisse Notwendigkeit besteht. ...
Leiste ich die zweite Aufgabe (b) nicht, bin ich nicht nur erst den halben Weg gegangen. Vielmehr, wenn ich dabei stehenbleibe, ist, was ich in der Entwicklung des Gegenstandes selbst erkannt habe, nicht nur langweilig, sondern mit großer Wahrscheinlichkeit völlig falsch. Denn die verkehrte Form des Bewusstwerdens des realen Prozesse hat in diesem selbst eine unverzichtbare Funktion. Wenn ich diese nicht begreife, verstehe ich den Prozess selbst nicht. Auch das falsche Bewusstsein ist nicht einfach (falsche) Analyse, (falsche) Widerspiegelung eines ihm fremden Objektes. Vielmehr flankiert und schafft es diesen auch. Verstehe ich dies nicht, weiß ich eigentlich nichts. -- Quelle (wak:UW 27.07.2006)
Heinz P.'s Kritik an UW's Vorstellungen zur Aufhebung des Kapitalismus
(wak:UW 27.07.2006) zum Hintergrund von Heinz P.
(6.1) 2. Meine Vorstellungen berücksichtigen nicht, dass die gesellschaftliche Funktion von Wert im Kapitalismus in einer neuen Gesellschaft nicht ersatzlos aufgehoben werden kann.
3. In irgendwie relevanten Zeiträumen ist die Aufhebung der Warenproduktion unmöglich. -- Quelle (wak:UW 27.07.2006)
- Dies hört sich an wie meine Position (graebe-mawi:Kap. 3), dass "Wert" im Kapitalismus eine doppelte Funktion hat - Aufwandsmaß und Sinnmaß ist - und von diesen beiden Funktionen die des Aufwandsmaßes bleibt (weil autonome interagierende Agenten als zivilisatorische "Erfindung" des Kapitalismus bleiben), die des Sinnmaßes aber durch komplexere Interaktionsformen ersetzt wird. -- HGG 2006-08-06
Aus der Diskussion mit Benni und (graebe-utopie): "Tätigsein als Verändern der realen Welt ist notwendig con-current und damit konflikthaft, so dass für den Menschen als gesellschaftliches Wesen Freiräume zur Entscheidung nur zusammen mit Verantwortung für die Entscheidungen zu denken sind und Mechanismen des Ausgleichs erfordern, um Konflikte in Bereichen sich überlappender Interessen zu lösen." -- HGG 2006-08-06
Das ist die - mit Blick auf tausende Marktabsprachen, Produktion erst nach Auftragseingang etc. realweltlich heute schon weitgehend überholte - Sinnmaß-Funktion des Marktes. Uli, bei all deinen Überlegungen zum Thema "Wert" kann ich diese "Differenz in der Einheit" (meine Gegenthese auf ox-de zur "Einheit der Differenzen" von Stefan Meretz) einfach nicht sehen. -- HGG 2006-08-06
Arbeit (als "tätige Auseinandersetzung mit den eigenen Lebensbedingungen" verstanden) und Wert sind in einer Welt con-current (also nebenläufig und autonom) agierender und interagierender "Produzenten" (auch diese Vokabel habe ich anderenorts hinterfragt) einfach ein Paar zusammengehörender Schuhe. Arbeitsteilung und Tauschwert sind zwei Seiten derselben Medaille. -- HGG 2006-08-06
Arbeit und Arbeitsmöglichkeit als der Freiraum, der nur zugleich mit Verantwortung vor den anderen eingeräumt werden kann, und "Wert" (natürlich nicht in der heutigen pubertären Form als abstraktes Zeitmaß, sondern als kommunikativ vermitteltes Sinnmaß) als Maß der Einlösung der übernommenen Verantwortung. -- HGG 2006-08-06
Benni fragte weiter: "Wie sollte sowas messbar sein?" und ich antwortete mit Blick darauf, wie das in der Wissenschaft schon seit Jahrhunderten geht "manuelle Prüfmethoden, peer reviewing, auditing, supervision, lessons learned fallen mit auf Anhieb ein. Jedenfalls hochgradig kommunikative Verfahren". -- HGG 2006-08-06
Im Übrigen - siehe etwa (ruben-98) - wird der Wert in Geld und nicht in (Arbeits)-Zeit gemessen, so dass sich mit diesem Maß auch andere Dinge messen lassen (mit einem allgemeineren Aufwandsbegriff natürlich). Dass Kapitalismus die Akkumulation von Wohlstand als die Akkumulation von etwas Abstraktem, nämlich Geld als Maß der allgemeinen Arbeit, versteht, bedeutet nicht, dass Geld als dieses Maß (Aufwandsmaß!) obsolet wird, wenn wir Wohlstand als die proportional richtige Verausgabung konkreter Arbeiten verstehen (Sinnmaß!). Die Objektivierung des Werts als Geldpreis (dies ist eine Voraussetzung für jede funktionierende Arbeitsteilung), wie sie Marx in (MEW 25, Kap 9) für eine kompetitive kap. Gesellschaft beschreibt, muss nicht notwendig so verlaufen, sondern könnte auch auf anderem Weg politisch moderiert verhandelt werden. Das Problem ist nicht der Tauschwert und die Existenz von Geld, sondern allein, dass etwas Sinn macht, was für keine andere Ware sinnvoll ist: dessen unendliche Akkumulierbarkeit. Das ist aber ein Problem der "Spielregeln" und damit (im Prinzip) politisch lösbar: Fortress, wir verkaufen die Dresdner WOBA nicht, auch wenn du ganz viel Geld bietest (sorry, vorbei). -- HGG 2006-08-06
(6.2) [Nur - HGG] abstrakt - d.h. getrennt von den heutigen und demnächst eventuell entstehenden Voraussetzungen - sei ... eine Gesellschaft denkbar, deren Produktion nicht auf Wert gegründet ist, in der keine Waren hergestellt werden. -- Quelle (wak:UW 27.07.2006)
- Weil zusammen mit dem Arbeitsbegriff auch der Wertbegriff aufzubohren ist. Es ist also weder Arbeit im heutigen Erwerbsarbeitssinne (eher schon im Sinne "unternehmerischen Tätigseins") noch Wert im Sinne des "cash flow" (der ja bereits heute extrem vom "work flow" abkoppelt) und damit auch keine Ware mehr (im Sinne - erst produzieren, dann hoffen, dass den Schrott jemand braucht) -- HGG 2006-08-06
(6.3) Die Arbeitsteilung bleibt bestehen. Die Proportionen zwischen Wirtschaftszweigen usw. müssen erfasst, geplant, reguliert werden. Ohne Wertkategorien, ohne Warenproduktion sei dies unmöglich. An den Tendenzen zu einer Gebrauchswertplanung bei gleichzeitigem Unterschätzen der Wertkategorien sei schon der Sozialismus gescheitert.
- In der Tat, diese Frage muss beantwortet werden. Wobei - aktuelle Diskussion um Heinz Dieterichs Buch (dieterich-06) und "Computersozialismus" (peters-00) - der Ansatz Gebrauchswert"planung" zu hinterfragen und wohl durch adaptive Steuerungsverfahren zu ersetzen ist. Eben den Bürokratie-Staat durch zivilgesellschaftliche Elemente ersetzen, indem die "Emanzipation der Politik" (graebe-ccthesen:These 19) endlich erreicht wird. -- HGG 2006-08-06
(6.4) Die Wertform bringt es zustande, dass auf der Grundlage lauter privatkapitalistischer Produzenten ein gesellschaftlicher Zusammenhang entsteht, eine Gesellschaft leben und sich entwickeln könne. "Nimm den Wert weg, so bleiben für all diese Funktionen wieder nur persönliche Herrschaft übrig bzw. Herrschaften von Gemeinschaften über andere. Das ist kein Fortschritt." -- Quelle (wak:UW 27.07.2006)
- Eben. Das ist eine zivilisatorische Errungenschaft dieser Gesellschaft, hinter die auch ich nicht wieder zurück möchte. -- HGG 2006-08-06
(6.5) 7. Das greife tief in den gesamten Geschichtsmaterialismus ein. Den würde ich faktisch auflösen. -- Quelle (wak:UW 27.07.2006)
- Sehe ich auch so. Uli, nimm dein eigenes Zitat (5.4) zu Sein und Bewusstsein nach (MEW 3: S. 167). Diesen Anspruch löst du nicht ein. -- HGG 2006-08-06
(6.6) 11. Solche Strukturen, in denen heute bereits sich frei assoziierende Individuen aus ihrem Bedürfnis nach schöpferischer Tätigkeit heraus nützliche Dinge produzieren, die allgemein verfügbar sind (z. B. freie Software) könnten keine Keimformen einer neuen Vergesellschaftungsform sein. -- Quelle (wak:UW 27.07.2006)
- Genau hier gehe ich mit Heinz P. nicht konform. Seinem Argument, das seien "Gruppen, die sich innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft bewegen", halte ich mit der Keimformhypothese entgegen, dass es gar nicht anders sein kann als dass beide Dynamiken bereits in dieser Gesellschaft präsent sind. Und zweitens sage ich, dass Individuen seit Jahrtausenden "aus ihrem Bedürfnis nach schöpferischer Tätigkeit heraus nützliche Dinge produzieren, die allgemein verfügbar sind" - nämlich in der Wissenschaft. Und drittens sage ich, dass es genau wie mit der Warenproduktion ist, die es in Ansätzen ja lange vor dem Kapitalismus gab, aber erst mit dem Kapitalismus zur dominanten Vergesellschaftungsform - eben zur Leitsozialisation (ein Begriff aus (graebe-mawi)) - wird. Und - ebenfalls in (graebe-mawi) genauer ausargumentiert - wir gerade Zeuge des Wechsels dieser Leitsozialisation sind. Eben "creators and owners" (moglen-03). -- HGG 2006-08-06
(6.7) Eine neue Gesellschaft ließe sich nicht als Ausweitung, Vernetzung solcher Gruppen denken, nicht als ein Geschichtsmächtigwerden ihrer Strukturen, ihrer sozialer Formen. Sie seien untergeordnete Momente der kapitalistischen Gesellschaft selbst, aber keine ihr wirklich fremde. -- Quelle (wak:UW 27.07.2006)
- Hier kommt die Differenz dann zum Tragen: Der Bruch liegt - ausargumentiert in (graebe-mawi) - nicht nach dem Kapitalismus, sondern vor dem Kapitalismus. Das dauernde Revolutionieren der Produktionsverhältnisse, welches ja bereits Marx als Charakteristikum dieser Gesellschaft konstatiert hat, wird auch diese Fessel sprengen, dabei aber viel mehr an Zivilisatorischem mitnehmen als sich Uli W. und Heinz P. heute vorstellen können - behaupte ich. Noch mal "Kapitalismus - die Pubertät der Menschheit". -- HGG 2006-08-06
- Ich weiß nicht, wo Du lebst und was Dein Wahrnehmungshorizont ist. Wie kannst Du heute noch davon ausgehen, dass der Kapitalismus so viel zivilisatorisches Potential hat, dass er sich beim Auswachsen in die in die Freie Gesellschaft umwandelt? Sie dich doch mal um, sogar das was heute als höchster Fortschritt gehandelt wird, High-Tech, Biotech, Nanotech, Gentech und alles, was managementmäßig realisiert wird - geht da noch irgend etwas in die Richtung, die die Menschheit braucht? Klar werden einige materiell-technisch-organisatorische Voraussetzungen erbracht, aber im Moment besteht eher die Gefahr, dass die wieder so deformiert werden, dass eh alles neu gemacht werden muss. Z.B. wird sogar Solartechnik nicht von vornherein mit einer gescheiten Umweltbilanz entwickelt, sondern so blödsinnig, dass wir in einer Freien Gesellschaft alles so gut wie nochmal machen müssen. -- AS 2006-08-08
(6.8) Ansonsten wären dann etwa auch die einzelnen Abteilungen innerhalb von Betrieben und Konzernen, die arbeitsteilig Produkte herstellen und diese untereinander nicht als Waren austauschen, auch solche Keimformen. Das gleiche gelte für familiäre Strukturen. -- Quelle (wak:UW 27.07.2006)
- Ja aber klar! Auch die leben übrigens seit langem im Modus der Entkopplung von "cash flow" und "work flow". Um ersteren kümmert sich "der Chef" bzw. "der Ernährer". -- HGG 2006-08-06
(6.9) Es ist höchst fraglich, ob in dieser von Anfang an die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit überhaupt drastisch gesenkt werden könnte. Der Charakter der Arbeit könne sich auch nicht schnell grundlegend so ändern, dass die Masse der Arbeit als eine unmittelbar schöpferische (wissenschaftliche, künstlerische usw.) Tätigkeit geleistet werden kann. Dies sei ja meiner Meinung nach (mit Marx) zu Recht eine Voraussetzung für Kommunismus. -- Quelle (wak:UW 27.07.2006)
- Dazu wird uns - bei Strafe des Untergangs der Menschheit als Gattung - die destrukive Kraft der aufgehäuften Industriemaschine schlicht zwingen. Verweis auf (3.1) -- HGG 2006-08-06
(6.10) Angesichts solcher globaler Herausforderungen kann von einem Reich der Freiheit mit frei fließenden Quellen des gesellschaftlichen Reichtums noch lange keine Rede sein. Meine Utopien seien also völlig voraussetzungslos. -- Quelle (wak:UW 27.07.2006)
- Nein, Heinz P. übersieht dabei, dass sich diese Utopie nicht nur aus Argumenten der Menschenwürde speist, sondern die einzig mögliche funktionale Antwort darstellt auf Herausforderungen, vor denen die Menschheit als Gattung auf Grund der realen Entwicklung der PK steht. "Computersozialismus" ist eben keine Antwort - wie die Erfahrungen des "kurzen 20. Jahrhunderts" beweisen. Allerdings habe ich den Eindruck, dass auch du, Uli, das übersiehst. -- HGG 2006-08-06
Philosophische Ausgangspunkte von Marx
Zusammenfassung von Johannes, 2006-12-07
(7.1) Die Diskussion entzündete sich anhand eines Abschnittes auf S. 528 (MEW 3), wo das kommunistische Prinzip: "jeder nach seinen Bedürfnissen" aus der empirisch erfahrbaren Natur des Menschen gefolgert wird. Uli sieht darin einen Widerspruch zur Argumentation auf S. 417 (da geht es um Freiheit, Menschlichkeit und Unmenschlichkeit), wo Marx strikt historisch bleibt. Stefan sieht keinen Widerspruch zwischen beiden Passagen, meint aber, dass es eine Doppelperspektive bei Marx gäbe, die kontextbezogen zur Anwendung kommt. Einmal gehe er von einer überhistorischen Natur aus, ein andermal weist er auf die historische Bedingtheit menschlichen Seins hin.
Ich fügte ein, Aussagen über die menschliche Natur müssten gemacht werden, da sich sonst historische Widersprüche, mitunter historischer Fortschritt überhaupt nicht erklären ließen. Es gäbe so nichts, was über die eine jeweilige Formation konstituierenden Bedürfnisse hinauswiese. Problematisch werden ontologische Aussagen erst dann, wenn sie von allgemeinen Bestimmungen auf konkret einzelne Bedingungen heruntergebrochen werden. Dagegen wandte Uli ein, dass solche Aussagen gegenstandslos sind, wenn sie nicht spezifisch werden. Daraufhin nannte Stefan ein Beispiel: Es entspricht dem Wesen des Menschen, dass er die Bedingungen seiner eigenen Existenz selbst herstellt.
- Der mensch stellt so gut wie keine bedingung seiner existenz selbst her. Ein solcher mensch waere robinson. Aber der hatte sogar einen freitag bei sich. Richtiger waere: Die menschen stellen die bedingungen ihrer existenz gemeinsam selbst her. (Dabei koennen die arten der gemeinsamkeit sehr unterschiedlich sein, bis hin zu wechselseitiger kriegerischer zerstoerung.) -- Wolf, 2006-12-07
Uli und Matthias lehnen ontologische Aussagen ab. Uli fragt nach der gesellschaftlichen Praxis, die den Begriff des Menschen hervorbringt. Stefan und ich stimmen darin überein, dass die kategorische Ablehnung, mitunter idiosynkratische Abwehr ontologischer Aussagen in bestimmten linken Kreisen einer freien Diskussion nicht förderlich ist. Sie ist, so Stefan, die Reaktion auf die stark ontologisierende Tendenz des Arbeitermarxismus. Im Gespräch mit Matti wurde dann herausgearbeitet, dass der Arbeitermarxismus falsch ontologisiert hat. Nach Matti stellt sich das Verhältnis so da, dass die Form historisch ist, der Inhalt dagegen überhistorisch. Der Arbeitermarxismus geht nun z.B. so vor, dass er ableitet: der Gebrauchswert ist überhistorisch, der Tauschwert historisch. Die richtige Bestimmung wäre aber: das Produkt menschlicher Tätigkeit ist überhistorisch, die Ware mit ihrem Doppelcharakter dagegen historisch.
- Ich denke, es geht nicht um "historisch oder überhistorisch", sondern um das immer Historische jeweils in unterschiedlichen Umfängen der Betrachtung. Innerhalb der weltgeschichtlichen Evolution des Universum, bzw. des Lebens auf der Erde ist das "Menschsein allgemein" (also eher das, was bei Euch das "Überhistorische" ist), ja auch eine historische Bestimmung. Innerhalb dieses historischen Stadiums ("Menschsein allgemein": ein Wesen das die Bedingungen seiner eigenen Existenz selbst herstellt...) gibt es dann wiederum qualitativ unterscheidbare (nicht trennbare ;-)) "Unterphasen", wie eben auch den Kapitalismus als spezielle Gesellschaftsform, für den sich das Allgemeine in einer speziellen - historisch entstandenen und aufhebbaren - Form realisiert.
Mit der Differenzierung innerhalb der Naturgeschichte ergibt sich die allgemeine Wesensbestimmung des Menschen im Unterschied zu den Tieren und damit sind wir wieder voll in der Bredoulle, da einige liebe Menschen annehmen, diese "Überheblichkeit" gegenüber den Tieren wäre eine der Ursachen für die derzeitige Naturfeindlichkeit. Hier wäre dann allgemein zu fragen nach dem Verhältnis von Mensch innerhalb/gegenüber außermenschlicher Natur und eben speziell nach der Rolle der Gesellschaftsform hier.... --Annette Schlemm, 2006-12-17