Geistiges Eigentum

Bei Gelegenheit werde ich an dieser Stelle vielleicht mal ein paar Ideen zu Geistigem Eigentum hinschreiben. Erstmal nur ein älteres Posting von mir, welches sich auf einen Beitrag von Stefan Matteikat bezog und von ihm sowie von Stephan Eissler beantwortet wurde. Möglicherweise werde ich Teile des Postings für einen neuen Text verwurschteln.

From: Holger Weiss <lists jhweiss.de>
Date: Sat, 18 Dec 2004 15:11:46 +0100

Das Posting spiegelt, glaube ich, den Grundtenor vieler Oekonux-Leute
wieder und stoesst hier entsprechend auf Zustimmung. Ich halte diesen
Tenor fuer falsch; naemlich dass Markt und Eigentum bis dato mehr oder
weniger rationale Einrichtungen gewesen sein moegen, welche aber jetzt,
wo der Anteil an Produkten, die nahezu kostenlos kopiert werden koennen,
ansteigt, der Natur der Sache nicht mehr angemessen sind. Wenn man das
so ohne weiteres vertritt, hat man offensichtlich eine statische Welt
vor Augen, in der ein Pool von schon fertigen Produkten vorhanden ist,
von denen der eine Teil nicht kostenguenstig reproduziert werden kann
und daher qua Natur knapp sei, der andere Teil aber problemlos kopiert
werden kann, so dass die Reproduktionskosten hier gegen null tendieren
und er somit qua Natur nicht knapp sei.

Unter dieser Voraussetzung macht es natuerlich Sinn, sich lediglich um
die Verteilung der zweiten Klasse von Guetern einen Kopf zu machen und
"geistiges Eigentum" dafuer zu kritisieren, dass es die eigentlich
kostenfreie Kopie dieser Produkte durch kuenstliche Verknappung
verhindert, was negative Folgen hat. Nur wird durch diesen Focus auf
Verteilung immer hartnaeckig ignoriert, dass _beide_ Klassen von Guetern
erst produziert werden muessen, bevor sie ggf. kopiert werden koennen.
Das laedt eben die Sponsels dieser Welt zum Broetchen-Argument ein; und
innerhalb dieser Argumentation haben sie m.E. recht. Eine Kritik, die
sich auf die ineffiziente Allokation von Information beschraenkt, haut
nicht hin. Im Einzelnen:

* <smatteikat web.de> [2004-12-15 09:18]:
> Rudolf Sponsel wiederholt im Grunde genommen die "anthropologische
> Gewißheit", daß die Arbeit das Recht auf Eigentum begründe; jeder habe das
> Recht, über die Früchte seiner Arbeit als sein Eigentum zu verfügen. Aber:
> für die Möglichkeit der wirtschaftlichen Nutzung einer geistigen Schöpfung
> stellt deren schöpferischer Akt lediglich eine notwendige Bedingung dar.
> Selbst hierbei handelt es sich um einen Prozeß, der im wesentlichen sozialer
> Natur ist und weniger die Leistung eines einzelnen Schöpfers/Erfinders
> widerspiegelt - den Programmierer möchte ich sehen, der fünf Jahre lang im
> stillen Kämmerlein vor sich hin wurstelt und dabei tatsächlich etwas
> _Marktfähiges_ zuwege bringt - hinreichende Bedingung für die Möglichkeit
> der wirtschaftlichen Nutzung einer geistigen Schöpfung ist nämlich deren
> gesellschaftliche Aneignung und Akzeptanz. Die Möglichkeit der
> wirtschaftlichen Nutzung geistiger "Eigentümer" setzt immer auch Arbeit
> und Investitionen auf Seiten Dritter voraus.

Alles richtig, aber welcher dieser Punkte ist spezifisch fuer "geistige
Schoepfungen"? Fuer kapitalistisch produzierte Gueter gilt immer, dass
das Produkt gerade nicht Eigentum desjenigen ist, der es produziert hat
(siehe den "Umschlag des Aneignungsgesetzes" im 1. Band des Kapital).
Fuer Eigentum gilt immer, dass es eine Form _sozialer_ ("kuenstlicher")
Exklusion ist, welche durch naturrechtliche Legitimation von Eigentum
durch John Locke und Co. verklaert wird. Auch dass Produktion auf der
"Vorarbeit Dritter" aufsetzt und nicht von einem Einzelnen zu leisten
ist, gilt fuer alle Produktion auf hoher Stufenleiter, nicht nur fuer
die von "geistigen Produkten".

> Anders gesagt: die naturrechtliche Eigentumstheorie läßt sich selbst für
> ein scheinbar so einleuchtendes Beispiel, wie den genialischen Programmierer,
> der 5 Jahre lang vor sich hin arbeitet, nicht begründen:

Richtig, aber sie laesst sich schon fuer die Produktion eines Autos
nicht begruenden.

> Aber es geht noch weiter: Nur bei materiellen Gütern besteht die
> Möglichkeit  oder Gefahr einer _Fehlallokation_ und damit die
> Notwendigkeit, ein Regulativ wie den Markt einzusetzen.

Siehe oben: Wenn Du Dich auf die Allokation schon produzierter Gueter
beziehst, hast Du recht. Guckt man sich aber auch die Produktion an,
gibt's diese Moeglichkeit bei allen Arbeitsprodukten: Die verfuegbare
Arbeitszeit ist nicht unbeschraenkt, daher mag es (gemessen an welchem
Massstab auch immer) eine "Fehlallokation" sein, dass x Stunden Arbeit
in die Produktion von Musik oder Autos und nur y Stunden in die von
Broetchen oder Software gesteckt wurde. Hier "reguliert" der Markt die
Produktion von Musik und Software in derselben Weise wie die Produktion
von Autos und Broetchen. Selbst wenn man Deinem Punkt, dass die
Allokation des Marktes bei "geistigen Produkten" in spezifischer Weise
suboptimal sei, zustimmt, koennte man also behaupten, dass die
Allokation ohne Markt auch hier noch schlechter waere. Genau so geht ja
auch die Argumentation der entsprechenden Leute.

> Mehr noch: in dem Maße, in welchem Wissen und Information als nicht knappe
> Güter künstlich verknappt werden, wird das Potential wirtschaftlicher
> Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft verringert und allenfalls
> ein suboptimales Wachstumsniveau erreicht.

Waere das uneingeschraenkt richtig, waeren die Protagonisten des
"geistigen Eigentums" unter den VWLern ja einfach nur strunzdumm; sie
waeren den Partial-Interessen von Musik- und Softwareindustrie auf den
Leim gegangen und wuerden "ihrer" Volkswirtschaft aus schlichter
Unwissenheit den puren Schaden raten. Das bezweifle ich. Ich denke,
innerhalb des Marktes gibt es Effekte in beide Richtungen: "Geistiges
Eigentum" gibt einen Anreiz zur Produktion entsprechender Gueter und
fuehrt somit zu Wachstum, umgekehrt vermindert das Zurueckhalten von
Information Wachstum, weil schon produzierte Informationen nicht
(kostenlos) von anderen zur Produktion genutzt und/oder um weitere
Erkenntnisse ergaenzt werden koennen. Die Frage ist nun, welcher Effekt
ueberwiegt; daher ist's ueberhaupt nicht verwunderlich, dass die VWLer
sich (zunehmend) um genau diesen Trade-off einen Kopf machen. Wenn man
Dein Argument vertritt, muesste man bei diesem Streit Position einnehmen
und versuchen, zu zeigen, dass der letztere Effekt ueberwiegt, der
Vorteil der kostenlosen Reproduktion also groesser ist als der Nachteil
des kleineren Anreizes zur Produktion. Ich kann das absolut nicht
beurteilen, aber mich interessiert sowieso nicht, wie die Antwort
lautet. Der _Widerspruch_ interessiert mich nur insofern, als er yet
another Beispiel fuer die Irrationalitaet des Marktes ist: Waehrend vom
Gebrauchswert-Standpunkt unmittelbar einleuchtet, dass freie
Verfuegbarkeit von Information rational waere, kaempfen der Markt bzw.
seine Protagonisten mit diesem bekloppten Widerspruch, weil es vom
Standpunkt des Marktes, welchen Du im zitierten Absatz ja einnimmst,
eben _nicht_ unmittelbar einleuchtend -- watt'n grosses System.

Haettest Du aber recht, dass die Aufloesung vom Standpunkt des Marktes
ebenso eindeutig waere wie vom Standpunkt des Gebrauchswerts, wuerde
meine Kritik des Marktes natuerlich flach fallen: Man muesste lediglich
Markt und Eigentum auf "nicht-geistige" Produkte beschraenken und haette
dann ein Wachstum des "restlichen" Marktes, Software, Musik und Freude;
alles in Butter.

> Aber auch der Markt ist - gemessen an der Definition idealer Märkte  bei
> vollständiger Konkurrenz, bei Berücksichtigung spezifischer Eigenschaften
> von Informationen sowie eingedenk der Tatsache, daß Informationen auf Märkten
> nur dank künstlicher Verknappung als Ware gehandelt werden können - ein
> ineffizientes und ineffektives Regime zur Allokation von Informationen.
>
> Es ergibt sich nämlich beim "Tausch von Informationsprodukten über Märkte"
> ein Informationsdilemma: die beim Tausch als wesentliche Produktinformation
> dienenden Preise funktionieren - grob gesagt - als "Knappheitssignale".
> Bei naturgemäß _nicht knappen_ Informationsgütern spiegeln die Preise eben
> keine tatsächliche Knappheit wider, sondern allenfalls eine willkürlich
> gesetzte;

Du hast ein Informationsprodukt halt entweder gar nicht erst produziert
oder es ist problemlos reproduzierbar. Dass das Konzept der "Knappheit"
auf diese Eigenschaft von Informationen noch weniger passt, als wenn man
ueber Produkte spricht, bei denen neben der Produktion auch die
Reproduktion nennenswert Arbeit erfordert, ist klar. Aber dem VWLer
reicht die Tatsache, dass auch Information _produziert_ werden muss,
halt hin, um einen Preis zu "rechtfertigen". Ohne Schutz des geistigen
Eigentums ist die Angebots-Kurve fuer Informationsprodukte dahin, was
zwar bedeutet, dass das vorhandene geistige Eigentum in unbegrenztem
Ausmass kostenlos verfuegbar ist, aber auch heisst, dass es kein neues
Angebot auf dem Markt geben wird. Moechte man, dass Information auch
zukuenftig kapitalistisch produziert wird, braucht's den Schutz des
geistigen Eigentums, genau wie's den Schutz des Eigentums im Allgemeinen
braucht, damit kapitalistische Produktion von Autos stattfindet. Die
Preisbildung fuer Informationsgueter ist dann ebenso rational oder
irrational wie bei anderen Guetern.

> sie liefern deshalb weder Informationen über den tatsächlichen Nutzen,

Doch, dieselbe Information wie bei anderen Guetern: Offensichtlich sieht
der Kaeufer von Information (wie der Auto-Kaeufer) bei gegebenem Preis
fuer sich hinreichend Nutzen, sonst wuerde er die Information nicht
kaufen. Der Nutzen ist aber eh ein anderes Thema: Einer der beiden
Bestimmungs-Faktoren des Preises ist laut VWL zwar die Nachfragekurve,
welche bei gegebenem Budget durch die Nutzen-Praeferenzen des Kaeufers
bestimmt ist. Fuer Budget und Praeferenzen ist aber voellig egal, ob es
geistiges Eigentum gibt, also hat das nix mit der Nachfragekurve zu tun.
Fuer den anderen Bestimmungs-Faktor des Preises, die Angebotskurve, ist
das zwar ueberhaupt nicht egal, aber die ist wiederum in keiner Weise
durch den (tatsaechlichen oder vom Kaeufer vermuteten) Nutzen des
Produkts bestimmt.

> (Was sich im Übrigen empirisch an der Preispolitik gewisser
> Software-Verwertungsgesellschaften nachvollziehen läßt).

Da sprichst Du doch nur Microsofts Monopolpreise an, die ja auch wieder
nix mit Informationsguetern im speziellen zu tun haben, oder? Das
funktioniert ja bei anderen Monopolen nicht anders.

> Märkte funktionieren - der Theorie nach - dann am besten, wenn sie sich dem
> Modell eines Marktes unter vollständiger Konkurrenz annähern. Wie nahe
> kommen Märkte, auf denen die durch die Institution des Eigentums künstlich
> verknappten Informationsprodukte gehandelt werden, diesem Modell?

Zu der Kritik, dass die Annahmen des reinen neoklassischen Modells
(vollstaendige Konkurrenz, vollkommene Information etc.) in der Praxis
nicht hinhauen, fuegt die Spezifik von Informationsprodukten glaube ich
wenig neues hinzu. Selbst Deine sechs bei Informationsprodukten nicht
gegebenen Bedingungen (die ich jetzt mal gesnipt habe) sind aus meiner
Sicht aus exakt denselben Gruenden bei _keinem_ Produkt gegeben. Nur
wird's da eh komplizierter, weil ja auch Neoklassiker nicht beim reinen
Modell bleiben, sondern die Annahmen Schritt fuer Schritt abschwaechen
und das Modell dadurch konkretisieren. Insofern ist die Kritik, dass die
Annahmen (bei Informationsprodukten oder ueberhaupt) nicht hinhauen,
fuer sich genommen aus meiner Sicht eh etwas mau.

> Kurz und gut: bevor ich daran gehen kann, das "geistige Eigentum" zu
> destruieren, muß es mir erst einmal _innerhalb_ des bürgerlich-liberalen
> Axiomensystem hinreichend konsistent konstruiert werden.

Ich wuerde insofern zustimmen, als es nicht ganz einfach ist, die u.U.
auch fuer den Markt positiven Effekte der freien Weitergabe und
Verarbeitung von Information innerhalb des neoklassischen Modells zu
bestimmen. Informationen verbessern die Bedingungen der Produktion,
welche im Standard-Modell einfach exogen gegeben und eben nicht endogen
analysiert werden. Aber ich hab keine Sorge, dass das mit ein bischen
Bastelei an den komplexeren Wachstums-Modellen schon klappt, zumal sie
diese Bastelei ja auch laengst betreiben. Du hast recht: Wenn sie fertig
sind, kann man sich das mal anschauen und kritisieren, falls man zu viel
Zeit hat ;-) Aber warum sollte man darauf warten, bevor man dran geht,
(geistiges) Eigentum zu "destruieren"? In der Praxis ist es ja laengst
"konstruiert".

HolgerWeiss/GeistigesEigentum (last edited 2005-11-27 21:58:43 by HolgerWeiss)

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