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Bericht vom Arbeitskreis "Kapitalismus als pubertäre Form der Freien Gesellschaft"
Leitung und Berichterstatter: Hans-Gert Gräbe
Ausgangspunkt war die in meinem Reader-Beitrag entwickelte sehr provokante These, dass der Kapitalismus die pubertäre Form einer Freien Gesellschaft sei. Zunächst habe ich noch einmal auf die grundlegende Konsequenz dieser These hingewiesen: Sie bedeutet, dass der entscheidende Formbruch MIT der kapitalistischen Gesellschaft einher geht und wir nicht Zeuge der GEBURT einer Freien Gesellschaft sind, sondern von deren PUBERTÄT, dem Erwachsenwerden.
Im Gegensatz zu den Utopien und Visionen, die viele der anderen Arbeitskreise geprägt haben, kommt die Argumentation aus der Analyse der Umbruchprozesse einer 500-jährigen Genese dessen, was gern mit dem Wort "Moderne" bezeichnet wird, deren Fokus ich in einer Umstrukturierung weg von Kommandostrukturen und hin zu interagierenden autonomen Agenten sehe. Markt- bzw. Waren- oder Geldwirtschaft ist eine Form der Ausprägung der Schnittstellen zwischen solchen Agenten, eine Form, die SICH HERAUSGEBILDET hat und neben der Beschränktheit vor allem auch ihre regulatorische Leistungsfähigkeit gezeigt hat.
Die zentrale Frage bei allen unseren Utopien ist: Hinter welche erreichten Standards wollen wir NICHT wieder zurück? Damit steht auch die Frage, ob wir hinter diese Regulationskraft marktwirtschaftlicher Beziehungen zurück wollen und was ein NEIN auf diese Frage bedeutet.
In der Debatte wurde noch einmal deutlich, dass Antworten nicht um eine genauere Analyse von Wissenssozialisierungsprozessen herumkommen, und genau diese Analyse hat mich zur eingangs aufgeführten These gebracht:
- <zitat> Betrachten wir die Genese und Dynamik dessen, was heute gern als Kompetenzportfolio bezeichnet wird. Die Kompetenz des Einzelnen resultiert aus der je spezifischen Aneignung gesellschaftlich verfügbaren Wissens auf dem Hintergrund des je eigenen Erfahrungsschatzes. Moderne Technologien erfordern damit eine Gesellschaft zunehmend unterscheidbarer Individuen, eine Gesellschaft je anders kompetenter Minderheiten. Die ungeheure Vielfalt der Kombinationsmöglichkeiten solcher Wissenselemente in der individuellen Aneignung konstituiert eine Individualität, in der Menschen - mit Blick auf ihre je individuellen Kompetenzen - nur noch als autonome Subjekte, nicht mehr als Objekte gesellschaftlicher Prozesse verstanden werden können.
Diese Autonomie ernst zu nehmen bedeutet, dass jegliches direkte oder indirekte Kommandoverhältnis obsolet und durch Aushandlungs- und Kommunikationsverhältnisse abgelöst werden wird. Damit ist das "Schleifen der letzten Bastion autoritativer Kommandostrukturen" aus dem Stadium der Utopie in das einer harten technologischen Herausforderung bereits für diese Gesellschaft getreten. ...
Das "Prinzip Hoffnung" ist also zurück, und zwar nicht als die Hoffnung auf die Realisierung eines "Return on Invest" als abstraktem Tauschwert jenseits aller dinglicher Logik, sondern als die Hoffnung, dass es hinter dem eigenen Horizont weitergeht und andere meine Gestaltungsfäden aufnehmen und weiterspinnen werden, so wie ich die Fäden anderer aufnehme und weiterspinne. Es geht darum, den Menschen als soziales Wesen "neu zu erfinden", die positive Kraft autonomen, aber kooperativen Handelns auch praktisch-sinnlich (wieder) spüren zu lernen als den siebten Sinn, der im Konkurrenzdenken dieser Gesellschaft arg unter die Räder gekommen ist.
Es geht um Menschen, die Freiräume kompetent und verantwortungsbeladen ausfüllen, und um eine Gesellschaft, die allen solche Freiräume bietet und die Menschen bei der Ausprägung ihrer Kompetenzen unterstützt. Und es geht um das kooperative Zusammenwirken dieser Menschen in der Gesellschaft, oder - genauer - um Gesellschaft als die Bewegungsform eines solchen kooperativen Zusammenwirkens. </zitat>