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Zweck
Wie wärs damit: Die Bedürfnisbefriedigung ist nicht der Hauptzweck der Veranstaltung Kapitalismus (sondern die Vermehrung von Kapital). Dennoch würde der Kapitalismus nicht funktionieren, würde er nicht auch - sozusagen aus Versehen - Bedürfnisse befriedigen. Wie, in welchem Maße und für wen das geschieht ist ein gesellschaftlich umkämpftes Feld auch innerhalb des Kapitalismus - und nicht egal. Das Beispiel Bildung halte ich aber für extrem schlecht gewählt. Kaum irgendwo werden heutzutage Bedürfnisse schlechter erfüllt. Oder hat sich je schon jemand dafür interessiert, was Kinder lernen wollen? [--BenniBärmann kopiert von Bedürfnis]
Diskussion
Ich möchte obiger Aussage nicht widersprechen habe aber ein komisches Gefühl bei "Zweck des Kapitalismus ist die Vermehrung von Kapital". Schließlich ist Kapitalismus ja nicht eine entstandene Bewegung mit einer Benennung und davon unabhängigen empirischen Eigenschaften, sondern eine beobachtete Verhaltensweise, der man eine via Definition einen Namen gegeben hat. Es ist widersinnig, dann von einem Zweck zu sprechen. So als würde man mit dem Brustton eines Forschers sagen: "Heureka, wir wissen jetzt, was der eigentliche Zweck eines Fischers ist: das Fangen von Fischen". Was ich damit sagen will: ein konkreter Mensch kann Kapitalist sein, dann ein Bekehrungserlebnis haben, sein Geld verschenken und ins Kloster gehen. Dann ist der Kapitalismus aus seinem Leben verschwunden. Ein abstrakte Vorstellung von Kapitalismus lässt aber per Definition keine Veränderung des kapitalistischen Charakters zu. Wer eine solche Begriffslogik verwendet, verheddert sich in seinen eigenen paradoxen Denkstrukturen (das ist jetzt nicht auf Benni bezogen), und merkt es nicht mal. -- HelmutLeitner 2006-03-21 16:52:18
Ja Helmut, das mit dem Zweck ist so ein wunder Punkt. Daran haben sich schon viele Debatten entzündet. Vielleicht wäre es besser von "Zweckmäßigkeit" zu sprechen. Die subjektive Stellung des Beteiligten ist gerade in dieser Gesellschaftsform sehr unmaßgeblich, die Sachgesetzlichkeiten sind ihm oder ihr aber vorgeschrieben. Freiheit existiert unter diesen Bedingungen als Auswahl unter vorgegebenen Alternativen. Der Begriff des "Zwecks" insinuiert aber gerade die freie Setzung. Ein Teil der Kritik am Kapitalismus ist aber gerade, daß "die Menschen unter der Kontrolle der Bewegung von Sachen stehen, statt sie zu kontrollieren". Ihr eigenes gesellschaftliches Vermögen (!!) nimmt die Form von Dingen an, die sozusagen den Menschen charakterisieren und kontrollieren. Wobei diese "Kontrolle" durchaus verschieden aussehen kann, und so mancher Kapitalbesitzer kann meinen sich subjektiv aus dem Kapitalverhältnis davonzumachen - das ist aber dann so etwas wie sein persönlicher gesellschaftlicher Untergang oder Ausstiueg und ändert nichts an den versachlichten gesellschaftlichen Tatsachen. Also wenn Du so willst ist der Begriff ("abstrakter reichtum") gerade der Sache angemessen, ist keineswegs eine paradoxe Denkstruktur sondern spiegelt genau die Struktur der Realität wider. Wenn ich ins Kloster gehe, ist übrigens der Kapitalismus kmeineswegs aus meinem Leben verschwunden, sondern ich erlebe ihn vielleicht noch mehr aus der Perspektive des vom Reichtum der Gesellschaft ausgegrenzten. Vielleicht kann ich auch Managementseminare machen und damit sogar Geld verdienen, dann kann ich mein Kloster im Winter heizen - und bin auf diese Art doch vom Erfolg des Kapitalismus abhängig. Eine soziale objektive Tatsache verschwindet nicht wenn Akteure sie nicht mehr sehen wollen, das ist vielleicht schon die generellste Kritik an dieser Gesellschaftsform überhaupt überhaupt, in der das Denken eine sehr armselige Rolle spielt. Man kann diese Rolle grob einteilen in die zwei Hauptformen der Rechtfertigung und der Berechnung. Beides sind Reflexionen eines Handelns, dem eigentlich die Zweckhaftigkeit abhanden gekommen ist. FranzNahrada
Franz, warum ist es dir nicht möglich, analytisch zu denken? Warum bekommt jeder Text einen rituellen Charakter? Ein Gedanke, der mich schon lange plagt, ist jener, dass der Marxismus überhaupt erst die Grundlagen für den modernen Extrem-Kapitalismus gelegt und zu verantworten hat: Durch den Materialismus hat man die Macht der Kirchen gebrochen, aber auch ihre korrektiven Wirkungen vernichten. Durch den gesellschaftlichen Konstruktivismus die Bahn für ungehemmte Propaganda und Werbemanipulation im Sinne eines Relativismus freigeräumt. Das Individuum ist von jeder "Sündigkeit" freigesprochen und damit außerhalb des Verantwortungszusammenhangs gestellt. Der Kapitalismus hat diese Freiräume in Todesangst besser und erfolgreicher genutzt als der Marxismus, der nun in seinen Doktrinen verhaftet, mit eigenen Waffen geschlagen, unfähig zu einer Analyse und Gegenstrategie ist. Der Marxismus hat den Kapitalismus entfesselt, die Marxisten drehen sich rituell im Kreis und die Menschen sitzen in der Scheiße. Das ist etwas verkürzt die Situation.
Der Kapitalist handelt ja zweckmäßig, nämlich egoistisch für sich. Als Materialist braucht er auf nichts mehr Rücksicht zu nehmen. Seine Wirklichkeit konstruiert er sich selbst, so wie er sie braucht, d. h. wie es angenehm für ihn ist. Dass das nicht zweckmäßig im Sinne der Gesellschaft und der Mehrheit der Weltbevölkerung ist, dass die Ökologie und die Zukunft vor die Hunde geht und Millionen von Menschen sterben ist unbestritten und für jeden sehenden Menschen furchtbar, aber für ihn ist das ohne Jenseitserwartung oder Ganzheitlichkeitsweltbild irrelevant, ja mehr als irrelevant, im Rahmen seiner Wirklichkeitskonstruktion nicht wahrnehmbar. -- HelmutLeitner 2006-03-22 21:00:12
- Jetzt verlassen wir ein wenig den Gegenstand um den es hier gehen sollte, aber was solls. Ich bin gelinde gesagt ziemlich erstaunt über Deine Gleichsetzungen. Du meinst also ernsthaft, daß ausgerechnet die kirchlich genährte Jenseitserwartung Garant für ein vernünftiges Verhalten auf dieser Erde wäre. Und daß jemand der zunächst einmal sich und nicht ein Glaubenssystem zur Basis seines urteilenden Verhältnisses zur Welt nimmt in Relativismus und Beliebigkeit enden muß, sich um seine Mitmenschen nicht kümmern und zu jeder Sauerei imstande sein wird. Einmal abgesehen davon, daß man diesen Spieß gerade umdrehen kann - von der Aufklärung bis Nietzsche sind die eloquenten Anklagen gegen den Glauben bezüglich Manipulierbarkeit und Brutalität durchaus ernst zu nehmen - will mir die Logik des Arguments nicht einleuchten. Warum soll ein Subjekt, dem es auf sich ankommt, nicht bemerken, daß es an einem allgemeinen Schädigungszusammenhang teilhat und gerade deswegen diese Teilnahme nicht aufkündigen können / wollen? Wenn es Dir wirklich auf Dich ankommt, dann bemerkst Du, daß Du in dieser Gesellschaft gar nicht gefragt bist, sondern nur die Zahlungsfähigkeit, die Du repräsentierst. Aus einem wirklichen Materialismus könnte notwendigerweise gerade die Negation des Zwanges zu egoistischem, schädigenden Verhalten folgen. Was Deinen Mitmenschen heute laufend passiert, das könnte nämlich auch Dir passieren, wenn Du nicht zufällig gerade in der Lage bist, daß Du Dir dies und das noch leisten kannst...In diesem Sinn fällt mir die Reklame ein "Glauben Sie wirklich daß er Sie später ernähren wird", wo schon das kleine Kind vom Vater nicht mehr als späterer Versorger gesehen werden kann. Die kapitalistischen Umstände produzieren Monaden, die wenn sie nicht mehr in der Lage sind im bellum omnium contra omnes ihre Position zu sichern eigentlich alle Lebensrechte verwirkt haben. Das soll man als Materialist wollen müssen? Obwohl ich kein Materialist im strengen Sinn mehr bin: das würde ich den Materialisten im Traum nicht vorwerfen!!! . FranzNahrada
Im übrigen ist auch der typische Kapitalist ein Moralist, wie jeder Mensch, der seinen Verstand unter diesen Umständen nicht völlig verlieren will. So ganz ohne den selbst geglaubten Schein von Unschuldigkeit und Rechtschaffenheit des eigenen Tuns kommt kein Mitglied dieser Gesellschaft aus. FranzN
Franz, ich verstehe das alles nicht im Sinne einer JA/NEIN Logik und vor allem nicht als Rechtfertigung. Die Kirche hat mit "Nächstenliebe", "Jüngstes Gericht", "Ewiges Leben", "Kein Reicher kommt in den Himmel" mächtige soziale Türhüter aufgestellt, die auf die Menschen großen Einfluss hatten, andererseits aber auch zahnlos gegen soziale Ungerechtigkeit geblieben sind. Dass die Marginalisieung des kirchlichen Einflusses die Menschen befreit hat bestreite ich nicht, aber ich sage, dass damit statistisch auch ein Stück soziale Gewissensgrundlage verschwunden ist. -- Wenn du sagst: "Der Kapitalist ist ein Moralist" stellen sich bei mir die Haare auf, weil es Millionen von Kapitalisten gibt und jeder ist ein individueller Mensch. Tausende sind vielleicht reine Moralisten, andere tausende haben lediglich manchmal oder nie einen moralischen Moment. Binäre Logik führt da nirgendwo hin. -- Wenn ich etwas überdenke, bewerte ich es nicht und prüfe es nicht auf Kompatibilität mit meinen Argumentationswünschen. Wenn ich sage "der Marxismus hat den Kapitalismus entfesselt" dann ist das kein Vorwurf, sondern als eine analytische Hypothese. Es ist vor allem keine Rechtfertigung des Kapitalismus. -- Warum soll der Materialist nicht erkennen? Er hat wenig Grund über Dinge außerhelb des hier und jetzt nachzudenken. Es gibt keine Verantwortung für ihn, außer den unmittelbar spürbaren Wirkungen. Der Kapitalist hat als Materialist einfach mehr Möglichkeiten, das Negative seines Tuns zu verdrängen. Die Medien helfen ihm dabei, er steht im Mittelpunkt, wird hofiert, hat Einfluss ... statt dass man über ihn die Nase rümpft, seinen Status als Geldsack anprangert, Seine Hirnlosigkeit betrauert. -- HelmutLeitner