Diskussion

"Urkommunismus"

Die Natur ist Motor der Evolution, die auch die Menschen hervorbrachte. Die Menschen gehen ein Verhältnis zur Natur ein (Subsistenz). Zunächst gehen sie intuitiv mit Natur um, dann auch zielgerichtet (Arbeit). Nach und nach entsteht mehr Virtuosität => Lernen, Mittel/Werkzeuge entstehen => die Menschen produzieren auch. Das Produzierte wird auf eine bestimmte Weise verteilt. Die Art und Weise der Subsistenz, Arbeit, Produktion und Verteilung ist charakteristisch für verschiedene Gesellschafts- und Wirtschaftsformen der Menschen.

Arbeitsteilung nach körperlichen Voraussetzungen (reproduzieren, sammeln, jagen). Lernen durch Zufall. Während im Tierreich Verteilung nach Faustrecht herrscht, sind die Menschen im Urkommunismus bei Strafe des Untergangs zur Solidarität gezwungen: rituell-kollektive Verteilung. Die Menschen existieren nicht als Individuen, sondern nur innerhalb des Zwangskollektivs. Die Lebenserwartung liegt bei ca. 25 Jahren.

Marktwirtschaft

Durch Lernen, Werkzeuge, Virtuosität entsteht mehr gesellschaftlicher Reichtum, als für die Subsistenz benötigt wird => Vorratshaltung, Ackerbau => Matriarchate. Historisch haben sich die Gesellschaften durchgesetzt, in denen dieses Mehrprodukt sich privat angeeignet wurde => Herrschaftssicherung durch Kriegsführung (Patriarchate). Schließlich wird so viel Reichtum angehäuft, dass eine Eigendynamik des Produktionsprozesses entsteht (ursprüngliche Akkumulation des Kapitals) => Kapital als zweiter Motor der Geschichte, neben der Natur. Die Menschen sind allerdings nur das Schmiermittel dieses Motors.

Das kapitalistische Prinzip der Arbeits(auf)teilung kann man mit dem Begriff abstrakte Leistungsfähigkeit kennzeichnen. Die Individuen streben nach allgemeiner Erhöhung ihrer Leistungsfähigkeit, um den Anforderungen eines zunächst abstrakten Arbeitsmarktes zu genügen und den Preis ihrer Vermarktung in die Höhe zu treiben. Allein das Wissen um einen existierenden Arbeitsmarktmechanismus lässt das Verhalten der Individuen ohne ausdrückliche Regulierung oder äußeren Zwang dem marktwirtschaftlich-gesellschaftlichen Bedarf gerecht werden. Das Fehlen eines unmittelbaren Zwangs bei gleichzeitiger Wirkung des Prinzips der abstrakten Leistungsfähigkeit ermöglicht eine optimale Verwertung menschlicher Kreativität im Produktionsprozeß, wobei das Verhältnis der Menschen zu ihrer eigenen Produktion ein ihnen äußerliches und damit inhumanes bleibt, das zu inhumanen Ergebnissen führt (z.B. sich verselbständigende Produktivkräfte mit destruktiven Folgen, Konkurrenzkrieg).

Dem entspricht eine Verteilung über Geld und Preise: "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen". Der wachsende Stress durch die unmenschlichen Leistungsanforderungen wird mit besinnunslosem Konsum übertüncht.

Die historische Leistung der Marktwirtschaft ist, die Menschen aus der Herrschaft der Naturkreisläufe herausgeführt und immensen gesellschaftlichen Reichtum aufgehäuft zu haben - eine notwendige Voraussetzung für eine demokratische Wirtschaftsform.

Der historische Sinn der Marktwirtschaft

Der objektive historische Sinn der Marktwirtschaft ist die Anhäufung von gesellschaftlichem Reichtum (private Aneignung des Mehrprodukts => ursprüngliche Akkumulation des Kapitals, Marx), die ermöglicht, die Gesellschaft arbeitsteilig zu organisieren und Menschen von Repro­duktionsarbeit freizustellen. Nur so kann sich ein freier Erfindergeist entwickeln, der zu gesell­schaftlichem Fortschritt führt (und damit wiederum zu noch größerem gesellschaftlichen Reichtum und zu mehr Tempo in der gesellschaftlichen Entwicklung). Gesellschaften, die ihren Reichtum kollektiv verprasst haben, konnten sich dagegen nicht weiterentwickeln und sich auch nicht ge­genüber den Reichtum anhäufenden Gesellschaften behaupten.

Der subjektive historische Sinn der Marktwirtschaft ist, die Menschen zu fordern, so dass sie etwas aus sich machen, ihre Persönlichkeit entwickeln, statt sich den ganzen Tag nur ihren Trieben (Fressen, Saufen, Vögeln) hinzugeben. Freud war Kulturpessimist und nahm an, dass die menschlichen Triebe zu stark seien, als dass die Menschen aus sich heraus Vernunft entwickeln könnten, und dass sie stattdessen von der Gesellschaft dazu angehalten und diszipliniert werden müssen. Der aus der Leibeigenschaft entlassene Arbeiter war im doppelten Sinne frei (Marx): frei vom Zwang des Feudalherren, aber auch frei von Produktionsmitteln, und daher gezwungen, seine Arbeitskraft zu verkaufen und seine Fähigkeiten zu entwickeln.

Heute hat sich dieser historische Sinn der Marktwirtschaft überholt: das Entwicklungstempo wird immer mörderischer (Turbokapitalismus, Hochleistungs-Spezialisierung der Individuen); der Um­schlagspunkt der Produktiv- in Destruktivkräfte und damit die Notwendigkeit einer neuen Wirt­schaftsordnung ist erreicht. Diesen Umschlagspunkt haben bereits Karl Marx und Rudi Dutschke zu ihrer Zeit gesehen, aber damals waren die Produktivkräfte noch nicht weit genug entwickelt. Wer weiß, was kommende Generationen über uns sagen, aber: Der Umschlag von Produktiv- in Destruktivkräfte reicht nicht als alleiniges Kriterium der Möglichkeit einer Planwirtschaft (die dahinter stehende Geschichtsauffassung bzw. Hoffnung, dass sich die Geschichte zum Guten wendet, bevor es zu destruktiv wird, wäre zu optimistisch und trifft die Realität nicht). Das ent­scheidende Kriterium ist: Erst heute stehen wir an der Schwelle zu künstlicher Intelligenz, mit der die Innovation zu einer eigenen Sphäre wird. Die Menschen müssen dann nicht mehr zur Innova­tion getrieben werden, sondern können sich auf die Humanisierung der Innovationen konzentrie­ren. Diese Sicht auf die Geschichte akzeptiert allerdings großes menschliches Leid, auch Kriege, als notwendiges Übel im Lernprozess der Menschen.

Der "historische Sinn" der Marktwirtschaft ergibt sich auf der Grundlage einer bestimmten Philosophie (des menschlichen Selbstbewusstseins) und nicht als "absolute Wahrheit". Viele Anarchisten sehen keinen historischen Sinn im Kapitalismus, sondern wollen diesen Geschichtsstrang abkappen - was auch die sofortige Zerschlagung des Kapitalismus legitimiert. Marx will dagegen an den kapitalistischen Geschichtsstrang anknüpfen, und ihn "aufheben" (Hegel), d.h. beseitigen, bewahren, emporheben. Der "objektive historische Sinn" ist nicht im Sinne von objektiv wahrer Erkenntnis unabhängig vom Beobachter gemeint. Nach der Hegelschen Philosophie hat auch die Quantentheorie eine Erkenntnis unabhängig vom Beobachter als Mythos herausgestellt. "Objektiv" ist hier philosophisch im Sinne von "dem Subjekt entgegenstehend" gemeint; das zentrale Spannungsfeld also das zwischen Subjekt und Objekt. Da beide eine Einheit bilden, sind der objektive und der subjektive historische Sinn der Marktwirtschaft auch nur zwei Seiten einer Medaille. Weniger philosophisch ausgedrückt könnten wir vom individuellen und gesellschaftlichen Sinn sprechen.

Die ursprüngliche Akkumulation

Oben heißt es: "Schließlich wird so viel Reichtum angehäuft, dass eine Eigendynamik des Produktionsprozesses entsteht (ursprüngliche Akkumulation des Kapitals)." Marx ist jedoch im Hinblick auf die ursprüngliche Akkumulation - in der Tat verstanden als historischer Ausgangspunkt eines eigendynamischen ökonomischen Prozesses - differenzierter. Nicht allein das Anhäufen von Reichtum führt zur kapitalistischen Ökonomie, sondern auch die historische Entwicklung konkreter gesellschaftlicher Voraussetzungen für das Kapitalverhältnis (die von unterschiedlichen Faktoren geprägt sein kann: Macht, Interessen etc.), d.h. die "Befreiung" der Landbevölkerung von ihren Subsistenzmitteln. Lesen wir den Meister selbst:


KategorieVeraltet

OxHB/Marktwirtschaft (last edited 2005-07-31 18:48:42 by StefanMertenEdit)

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