Diskussion

Eine für demokratisches Wirtschaften wichtige Voraussetzung ist vollautomatische Produktion, eine wichtige menschliche Fähigkeit ihre Humanisierung (siehe maschinistischer Humanismus).

Beispiele für Vollautomation

Der vollautomatische Kuhstall

Das Bremer Regionalmagazin "buten un binnen" zeigte eine Film über einen Kuhstall einer Lehr- und Forschungsanstalt, in dem von der Fütterung über den Melkvorgang bis zur Säuberung der Ställe alles vollautomatisch abläuft. Die Kühe tragen einen Chip um den Hals, auf dem ihre persönliche Futterzusammenstellung abgespeichert ist. Hat die Kuh Hunger, geht sie zum Fütterungsautomaten und erhält dort ihre spezielle Futtermischung. Will die Kuh gemolken werden, so begibt sie sich zum Melkroboter. (Auch für einen gesunden Schlaf der Kühe ist, durch ein ausreichendes Angebot von speziellen Kuhwasserbetten, gesorgt.)

Kritik

Ist so ein Stall wirklich toll für die Kuh? (Bei der Melkszene schien es, dass die Kuh sich unwohl gefühlt hat.) Wie "feinfühlig" kann ein Roboter sein (Sensorik)? Verhältnis zwischen Tier und Mensch (Verstärkt ein solcher maschineller Umgang mit Tieren die Auffassung des Tieres als biologische Produktionsmaschine?)

Ziel vollautomatisierter Produktion sollte generell sein, den Menschen von mühseliger Arbeit zu befreien. Wer diese mühselige Arbeit dennoch aus irgendwelchen Gründen verrichten möchte, ist grundsätzlich herzlich dazu eingeladen. Nur soll die menschliche Reproduktion nicht mehr von ihr abhängen. Unter diesem Gesichtspunkt ist auch eine Vollautomation im Kuhstall zu begrüßen.

Zusätzlich stellt sich aber die ethische Frage, ob man Tiere Automaten aussetzen möchte oder nicht. Ob den Kühen ein vollautomatischer Kuhstall gefällt, müsste man durch intensive Beobachtung herausfinden. Positiv könnte dabei der Zuwachs an ,Autonomie' der Tiere sein (sie können selbst entscheiden, wann sie in den Melkautomaten gehen oder ihr Futter haben möchten) und der Zeitgewinn der Menschen, die sich nun intensiver um die Tiere kümmern können. Letzteres führt auch zu der Frage, ob Vollautomation in der Tierhaltung zu weiterer Entfremdung von Tier und Mensch führt, zur stärkeren Degradierung des Tieres zum bloßen, warenförmig zu verwertenden Objekt, oder ob Vollautomation bei den Menschen gerade die zeitlichen Freiräume schafft, die Voraussetzungen für ein stärkeres Eingehen auf die Tiere sind. Um einer Antwort auf diese Fragen näher zu kommen, wollen wir uns einen vollautomatischen und einen nicht-vollautomatischen Kuhstall aus der Nähe anschauen.

Nutzfahrzeug-Produktion bei VW in Hannover

Es gibt einen Film von VW selbst über die vollautomatische Auto-Produktion in Hannover. Von riesigen Blechrollen werden Teile ausgestanzt und dann in die entsprechende Form gebracht. Dies alles geschieht vollautomatisch. Die modernen Maschinen erlauben es, dass nach einem kurzen Werkzeugwechsel eine Vielzahl verschiedener Teile hergestellt werden können. Das dauerte früher sehr lange. Für einen Bereich ist je ein Mitarbeiterteam zuständig. Fahrzeuge können nach individuellem Wunsch zusammengestellt werden. An den Autos befinden sich Datenträger, die die jeweiligen Robotern informieren, was genau zu tun ist. Die Montage erfolgt 'just in time'. Dazu berechnet ein Computer die günstigste Montagereihenfolge. Zwischendurch wird immer wieder von Hand nachgemessen. Und auch andere Aufgaben werden noch von Hand ausgeführt, so z.B. die Montage der Steuerkonsole und das Einsetzen der Frontscheibe (nachdem ein Roboter den Kleber aufgetragen hat).

Kritik

Kleingruppen wurden hoch gelobt. Es ist trotzdem auch noch vieles Fließbandarbeit. Wie wird mit dem Menschen dazwischen umgegangen

Fließbandfertigung/Kleingruppenfertigung (Menschen)

Vergleich zwischen VW-Film und einem Sendung mit der Maus Beitrag, über die Autoproduktion bei Ford. Bei VW werden Menschen eingesetzt, wo bei Ford Maschinen die Arbeit erledigen und umgekehrt. Z.B. übernehmen bei Ford Roboter vollständig das Einsetzen der Frontscheibe. Bei VW setzt der Mensch die Scheibe ein. Das zusammenstecken der Karosserieteile, die verschweißt werden sollen, wird bei Ford von Menschen erledigt. Mit der Begründung, das Positionieren der wackeligen Teile kann von Menschenhand schneller und besser geschehen. Bei VW gibt es dafür Roboter (mit sehr vielen Armen).

Wenn Menschen eingesetzt werden, werden Inselarbeitsplätze (Gruppenarbeit) bevorzugt, weil unterschiedliche Geschwindigkeiten und menschliche Bedürftigkeiten besser aufgefangen werden können.

Einsatz von Menschen zwischen Vollautomatischen Produktionsschritten

Warum werden überhaupt noch Menschen eingesetzt? Sind Maschinen zu teuer? Spezifische Qualitätsfrage oder reine Kostenfrage? Wohl eher letzteres.

Qualitätsmanagement und -sicherung ist sehr wichtig, Kostenfrage ist sicher ein Punkt, aber bei der Qualitätssicherung zu sparen ist nicht sinnvoll, da mangelhafte Produkte hohe Kosten verursachen können. Qualitätssicherung wird vom Menschen vorgenommen, da er feinfühlig sein kann. Insbesondere die Schnittstelle zum Produkt wird vom Menschen (Käufer/Kunden) wahrgenommen und sollte deshalb auch von einem Menschen überprüft werden. Es ist viel wichtiger, dass keine Nase im Lack ist, als dass bei der Ausfüllung der Karosseriehohlräume mit Wachs, dieses irgendwohin läuft, wo es eigentlich nicht hingehört.

Menschen haben teilweise schwer ersetzbare Eigenschaften. Z.B ist das menschliche Auge jeder Bilderkennung haushoch überlegen.

In diesem Kontext diskutierten wir noch die verschiedene Herangehensweise von USA/GB und Europa bezüglich des Arbeitsmarktes:

USA/GB: Bekämpfung der Arbeitslosigkeit durch Deregulierung, d.h. Schaffung von schlecht bezahlten und monotonen, anstrengenden Arbeitsplätzen.

Europa: Tendenz zur Automatisierung und Schaffung von sinnvoller bzw. geistiger Arbeit, hat jedoch bei gleichbleibender Arbeitszeit höhere Arbeitslosigkeit zur Folge

Abfallsortieranlage für den gelben Sack

Die frühere Sortierung des Mülls per Hand, geschah hauptsächlich der Form nach. Materialeigenschaften konnten nicht sehr differenziert unterschieden werden. Z.B. kann der Mensch kaum die verschiedenen Kunststoffsorten voneinander unterscheiden. In dieser Anlage kann der Müll zusätzlich zur Form auch nach Materialeigenschaften sortiert werden. Zu Beginn werden, mit Hilfe eines Trommelsiebes, die Teile der Größe nach sortiert. Dabei werden Plastikfolien durch ein Gebläse beiseite geblasen. Dosen werden per Magnet entfernt. Immer noch per Hand wird dann aussortiert, was nicht in den gelben Sack gehört. Mit Hilfe von Infrarot werden Getränkekartons erkannt und weggeblasen. Danach PET Flaschen. Zur Trennung von Aluminium, Kunststoffen und Papierfasern, wird der Restmüll in ein Wasserbad gegeben. Aluminiumteile werden entfernt indem das Wasser unter Strom gesetzt wird, so dass Aluminiumteile mit einem Magneten entfernt werden können. Die schwimmenden Kunststoffe können abgeschöpft werden. (Ist das richtig?) Der verbleibende Restschlamm kommt auf die herkömmliche Mülldeponie. (gehört Papier zum verbleibenden Restschlamm?) Die verschiedenen Kunststoffe kommen abermals in ein Wasserbad und werden mit Hilfe einer Zentrifuge voneinander getrennt. Die so erhaltenen Kunststoffmengen werden jeweils eingeschmolzen und dann in kleine Stücke geschnitten. Man erhält sortenreine Granulate verschiedener Kunststoffe.

Kritik

Es findet kein wirkliches recycling statt, sondern downcycling. D.h das "recycelte" Material ist nicht mehr so hochwertig wie das ursprüngliche. Z.B. kann man mit den gewonnenen Kunststoffgranulaten nicht mehr die Produkte herstellen, aus denen sie gewonnen wurden. Das was nicht zum grünen Punkt gehörte wurde aussortiert. Was sind die Gründe dafür? Darf das recycling genannt werden?

Bei aller Euphorie hinsichtlich vollautomatischer Produktion gilt es die Begrenztheit natürlicher Ressourcen und Aufnahmekapazitäten zu bedenken. Geschlossene stoffliche Kreisläufe sind leider keine Realität. Recycling ist v.a. bei Kunststoffen immer Downcycling, d.h. mit einem Qualitätsverlust verbunden. Vollautomation löst also nicht (voll)automatisch alle Ressourcenprobleme!

Die im Film dargestellte Anlage ermöglicht eine sortenreine, vollautomatische Sortierung von Verpackungsmüll, die die Menschen von physisch beanspruchender Arbeit mit geringer Wirkung befreit. Verbleibende Probleme (z.B. das Aussortieren bestimmter Teile, die aus durchaus verwertbarem Material bestehen) scheinen eher mit der konkreten Ausgestaltung des Dualen Systems zusammenzuhängen als mit technischen Schwierigkeiten.

Simulation von Vollautomation

Zugriff auf die Vollautomation haben wir gegenwärtig (d.h. ohne gesellschaftliche Emanzipationsbewegung) aber nicht, da viel zu kapitalintensiv. Dennoch ist es wichtig, demokratisches Wirtschaften unter den Bedingungen der Vollautomation zu erproben, als Voraussetzung, damit einmal eine Emanzipationsbewegung überhaupt das kapitalistische Wirtschaftssystem in Frage stellen kann. Ein unauflösbarer Zirkel?

Nein: mit Simulation von Vollautomation können wir diese Vorwegnehmen. Entscheidend ist dabei die Erfahrung des materiellen Reichtums ohne mühselige Arbeit, die wir z.B. im Umsonstladen machen können. Die Bremer Commune hat zudem einen Vollautomations-Fonds, eine zweckgebundene Rücklage, die sich aus relativ stressfrei (über intelligente Finanzierungskonzepte) erwirtschafteten Überschüssen speist. Er wird verwendet, um den fehlenden Zugriff auf die Produktionsmittel auszugleichen. Z.B. könnten Maschinen länger halten, wenn keine Sollbruchstellen eingebaut würden, oder der Strom wäre billiger, wenn die Energiekonzerne nicht so hohe Durchleitungsgebühren nehmen würden. Durch den Vollautomationsfonds erreichen wir auf diese Weise, dass der (auf alle umgelegte) Beitrag für die Grundversorgung nicht ins unermessliche steigt.

Der Vollautomationsfonds schafft ein Bewusstsein dafür, dass der Bereich der Vollautomation ernst genommen wird. Zudem prüfen wir durch Besuch & Beurteilung kapitalistischer Produktion ihre Geeignetheit bzw. Umbaufähgkeit für demokratisches Wirtschaften. Intelligente individuelle Finanzierungskonzepte basieren auf einer Zweigleisigkeit zwischen Selbstorganisation & Reform-Erwerbsarbeit (in der Bremer Commune empfehlen wir und eine Spannbreite von 1:1 bis 5:1).


KategorieVeraltet

OxHB/Vollautomation (last edited 2005-07-31 18:47:26 by StefanMertenEdit)

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