(Quelle: wak-Liste, 2007-05-02, wohl von Eske Bockelmann)

Eske Bockelmann schrieb dazu:

"... hier ein paar Seiten Hegel, an denen sich zeigen ließe (falls wir dazu kommen), wie weit seine Dialektik das angewandte reine Negations- oder eben Funktionsverhältnis ist, wie also der "dunkle" Denker zu erhellen ist - und anderes. ... Es ist nicht mehr als ein Vorschlag, um einmal über das 17. Jahrhundert hinauszuschauen, und wenn schon, dann eben in eine Richtung, die tatsächlich nicht unwichtig war. ... zugegeben harte Kost ... Sie wird zwar sehr viel leichter, wenn man das Funktionieren jener spezifischen Abstraktion darin erkennt, aber leicht ist sie natürlich erst danach, also nach kräftigem Hinkauen. ... auf dem Gang in unser 21. Jahrhundert muss so etwas eben auch einmal geschultert sein."

Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts

§ 1

Die philosophische Rechtswissenschaft hat die Idee des Rechts, den Begriff des Rechts und dessen Verwirklichung zum Gegenstande.

§ 2

Die Rechtswissenschaft ist ein Teil der Philosophie. Sie hat daher die Idee, als welche die Vernunft eines Gegenstandes ist, aus dem Begriffe zu entwickeln oder, was dasselbe ist, der eigenen immanenten Entwicklung der Sache selbst zuzusehen. Als Teil hat sie einen bestimmten Anfangspunkt, welcher das Resultat und die Wahrheit von dem ist, was vor­hergeht und was den sogenannten Beweis desselben ausmacht. Der Begriff des Rechts fällt daher seinem Werden nach außerhalb der Wissenschaft des Rechts, seine Deduktion ist hier vorausgesetzt, und er ist als gegeben aufzunehmen.

§ 3

Das Recht ist positiv überhaupt a) durch die Form, in einem Staate Gültigkeit zu haben, und diese gesetzliche Autorität ist das Prinzip für die Kenntnis desselben, die positive Rechtswissenschaft. b) Dem Inhalte nach erhält dies Recht ein positives Element α) durch den besonderen Nationalcharakter eines Volkes, die Stufe seiner geschichtlichen Ent­wicklung und den Zusammenhang aller der Verhältnisse, die der Naturnotwendigkeit angehören; ß) durch die Notwendigkeit, daß ein System eines gesetzlichen Rechts die Anwendung des allgemeinen Begriffes auf die besondere von außen sich gebende Beschaffenheit der Gegenstände und Fälle enthalten muß – eine Anwendung, die nicht mehr spekulatives Denken und Entwicklung des Begriffes, sondern Subsumtion des Verstandes ist; γ) durch die für die Entscheidung in der Wirklichkeit erforderlichen letz­ten Bestimmungen.

§ 4

Der Boden des Rechts ist überhaupt das Geistige und seine nähere Stelle und Ausgangs­punkt der Wille, welcher frei ist, so daß die Freiheit seine Substanz und Bestimmung ausmacht und das Rechtssystem das Reich der verwirklichten Freiheit, die Welt des Geistes aus ihm selbst hervorgebracht, als eine zweite Natur, ist. Zusatz. Die Freiheit des Willens ist am besten durch eine Hinweisung auf die physische Natur zu erklären. Die Freiheit ist nämlich ebenso eine Grundbestimmung des Willens, wie die Schwere eine Grundbestim­mung der Körper ist. Wenn man sagt, die Materie ist schwer, so könnte man meinen, dieses Prädikat sei nur zufällig; es ist es aber nicht, denn nichts ist unschwer an der Materie: diese ist vielmehr die Schwere selbst. Das Schwere macht den Körper aus und ist der Körper. Ebenso ist es mit der Freiheit und dem Willen, denn das Freie ist der Wille. Wille ohne Freiheit ist ein leeres Wort, so wie die Freiheit nur als Wille, als Subjekt wirklich ist. Was aber den Zusammenhang des Willens mit dem Denken betrifft, so ist darüber folgendes zu bemerken. Der Geist ist das Denken überhaupt, und der Mensch unterscheidet sich vom Tier durch das Denken. Aber man muß sich nicht vorstellen, daß der Mensch einerseits denkend, andererseits wollend sei und daß er in der einen Tasche das Denken, in der anderen das Wollen habe, denn dies wäre eine leere Vorstellung. Der Unterschied zwischen Denken und Willen ist nur der zwischen dem theoretischen und praktischen Verhalten, aber es sind nicht etwa zwei Vermögen, sondern der Wille ist eine besondere Weise des Denkens: das Denken als sich übersetzend ins Dasein, als Trieb, sich Dasein zu geben. Dieser Unterschied zwischen Denken und Willen kann so ausgedrückt werden. Indem ich einen Gegenstand denke, mache ich ihn zum Gedanken und nehme ihm das Sinnliche; ich mache ihn zu etwas, das wesentlich und unmittelbar das Meinige ist: denn erst im Denken bin ich bei mir, erst das Begreifen ist das Durchbohren des Gegenstandes, der nicht mehr mir gegenübersteht und dem ich das Eigene genommen habe, das er für sich gegen mich hatte. Wie Adam zu Eva sagt, du bist Fleisch von meinem Fleisch und Bein von meinem Bein, so sagt der Geist, dies ist Geist von meinem Geist, und die Fremdheit ist verschwunden. Jede Vorstellung ist eine Verallgemeinerung, und diese gehört dem Denken an. Etwas allgemein machen heißt, es denken. Ich ist das Denken und ebenso das Allgemeine. Wenn ich Ich sage, so lasse ich darin jede Besonderheit fallen, den Charakter, das Naturell, die Kenntnisse, das Alter. Ich ist ganz leer, punktuell, einfach, aber tätig in dieser Einfachheit. Das bunte Gemälde der Welt ist vor mir: ich stehe ihm gegenüber und hebe bei diesem Verhalten den Gegensatz auf, mache diesen Inhalt zu dem meinigen. Ich ist in der Welt zu Hause, wenn es sie kennt, noch mehr, wenn es sie begriffen hat. Soweit das theoretische Verhalten. Das praktische Verhalten fängt dagegen beim Denken, beim Ich selbst an und erscheint zuvörderst als entgegengesetzt, weil es nämlich gleich eine Trennung aufstellt. Indem ich praktisch tätig bin, das heißt handele, bestimme ich mich, und mich bestimmen heißt, eben einen Unterschied setzen. Aber diese Unterschiede, die ich setze, sind dann wieder die meinigen, die Bestimmungen kommen mir zu, und die Zwecke, wozu ich getrieben bin, gehören mir an. Wenn ich nun auch diese Bestimmungen und Unterschiede herauslasse, das heißt in die sogenannte Außenwelt setze, so bleiben sie doch die meinigen: sie sind das, was ich getan, gemacht habe, sie tragen die Spur meines Geistes. Wenn dieses nun der Unterschied des theoretischen und prakti­schen Verhaltens ist, so ist nunmehr das Verhältnis beider anzugeben. Das Theoretische ist wesentlich im Praktischen enthalten: es geht gegen die Vorstellung, daß beide getrennt sind, denn man kann keinen Willen haben ohne Intelligenz. Im Gegenteil, der Wille hält das Theoretische in sich: der Wille bestimmt sich; diese Bestimmung ist zunächst ein Inneres: was ich will, stelle ich mir vor, ist Gegenstand für mich. Das Tier handelt nach Instinkt, wird durch ein Inneres getrieben und ist so auch praktisch, aber es hat keinen Willen, weil es sich das nicht vorstellt, was es begehrt. Ebensowenig kann man sich aber ohne Willen theoretisch verhalten oder denken, denn indem wir denken, sind wir eben tätig. Der Inhalt des Gedachten erhält wohl die Form des Seienden, aber dies Seiende ist ein Vermittel­tes, durch unsere Tätigkeit Gesetztes. Diese Unterschiede sind also untrennbar: sie sind eines und dasselbe, und in jeder Tätigkeit, sowohl des Denkens als Wollens, finden sich beide Momente.

§ 5

Der Wille enthält α) das Element der: reinen Unbestimmtheit oder der reinen Reflexion des Ich in sich, in welcher jede Beschränkung, jeder durch die Natur, die Bedürfnisse, Begierden und Triebe unmittelbar vorhandene oder, wodurch es sei, gegebene und be­stimmte Inhalt aufgelöst ist; die schrankenlose Unendlichkeit der absoluten Abstraktion oder Allgemeinheit, das reine Denken seiner selbst.

§ 6

β) Ebenso ist Ich das Übergehen aus unterschiedsloser Unbestimmtheit zur Unterschei­dung, Bestimmen und Setzen einer Bestimmtheit als eines Inhalts und Gegenstands. – Dieser Inhalt sei nun weiter als durch die Natur gegeben oder aus dem Begriffe des Geistes erzeugt. Durch dies Setzen seiner selbst als eines bestimmten tritt Ich in das Dasein überhaupt; – das absolute Moment der Endlichkeit oder Besonderung des Ich.

§ 7

γ) Der Wille ist die Einheit dieser beiden Momente; – die in sich reflektierte und dadurch zur Allgemeinheit zurückgeführte Besonderheit; – Einzelheit; die Selbstbestimmung des Ich, in einem sich als das Negative seiner selbst, nämlich als bestimmt, beschränkt zu setzen und bei sich, d. i. in seiner Identität mit sich und Allgemeinheit zu bleiben, und in der Bestimmung, sich nur mit sich selbst zusammenzuschließen. – Ich bestimmt sich, insofern es die Beziehung der Negativität auf sich selbst ist; als diese Beziehung auf sich ist es ebenso gleichgültig gegen diese Bestimmtheit, weiß sie als die seinige und ideelle, als eine bloße Möglichkeit, durch die es nicht gebunden ist, sondern in der es nur ist, weil es sich in derselben setzt. – Dies ist die Freiheit des Willens, welche seinen Begriff oder Substantialität, seine Schwere so ausmacht wie die Schwere die Substantialität des Körpers.

§ 8

Das weiter Bestimmte der Besonderung (β. § 6) macht den Unterschied der Formen des Willens aus: a) insofern die Bestimmtheit der formelle Gegensatz von Subjektivem und Objektivem als äußerlicher unmittelbarer Existenz ist, so ist dies der formale Wille als Selbstbewußtsein, welcher eine Außenwelt vorfindet und als die in der Bestimmtheit in sich zurückkehrende Einzelheit der Prozeß ist, den subjektiven Zweck durch die Vermitt­lung der Tätigkeit und eines Mittels in die Objektivität zu übersetzen. Im Geiste, wie er an und für sich ist, als in welchem die Bestimmtheit schlechthin die seinige und wahrhafte ist, macht das Verhältnis des Bewußtseins nur die Seite der Erscheinung des Willens aus, welche hier nicht mehr für sich in Betrachtung kommt.

§ 9

b) Insofern die Willensbestimmungen die eigenen des Willens, seine in sich reflektierte Besonderung überhaupt sind, sind sie Inhalt. Dieser Inhalt als Inhalt des Willens ist ihm nach der in a) gegebenen Form Zweck, teils innerlicher oder subjektiver in dem vorstel­lenden Wollen, teils durch die Vermittlung der das Subjektive in die Objektivität überset­zenden Tätigkeit verwirklichter, ausgeführter Zweck.

§ 10

Der Inhalt oder die unterschiedene Willensbestimmung ist zunächst unmittelbar. So ist der Wille nur an sich frei, oder für uns, oder es ist überhaupt der Wille in seinem Begriffe. Erst indem der Wille sich selbst zum Gegenstande hat, ist er für sich, was er an sich ist.

§ 11

Der nur erst an sich freie Wille ist der unmittelbare oder natürliche Wille. Die Bestim­mungen des Unterschieds, welchen der sich selbst bestimmende Begriff im Willen setzt, erscheinen im unmittelbaren Willen als ein unmittelbar vorhandener Inhalt – es sind die Triebe, Begierden, Neigungen, durch die sich der Wille von Natur bestimmt findet. Dieser Inhalt nebst dessen entwickelten Bestimmungen kommt zwar von der Vernünftigkeit des Willens her und ist so an sich vernünftig, aber in solche Form der Unmittelbarkeit ausge­lassen, ist er noch nicht in Form der Vernünftigkeit. Dieser Inhalt ist zwar für mich der meinige überhaupt; diese Form und jener Inhalt sind aber noch verschieden, – der Wille ist so in sich endlicher Wille.

§ 12

Das System dieses Inhalts, wie es sich im Willen unmittelbar vorfindet, ist nur als eine Menge und Mannigfaltigkeit von Trieben, deren jeder der meinige überhaupt neben andern und zugleich ein Allgemeines und Unbestimmtes ist, das vielerlei Gegenstände und Weisen der Befriedigung hat. [Darin] daß der Wille sich in dieser gedoppelten Unbe­stimmtheit die Form der Einzelheit gibt (§ 7), ist er beschließend, und nur als beschlie­ßender Wille überhaupt ist er wirklicher Wille.

§ 13

Durch das Beschließen setzt der Wille sich als Willen eines bestimmten Individuums und als sich hinaus gegen Anderes unterscheidenden. Außer dieser Endlichkeit als Bewußtsein (§ 8) ist der unmittelbare Wille aber um des Unterschieds seiner Form und seines Inhalts (§ 11) willen formell, es kommt ihm nur das abstrakte Beschließen als solches zu, und der Inhalt ist noch nicht der Inhalt und das Werk seiner Freiheit.

§ 14

Der endliche Wille, als nur nach der Seite der Form sich in sich reflektierendes und bei sich selbst seiendes unendliches Ich (§ 5), steht über dem Inhalt, den unterschiedenen Trieben, sowie über den weiteren einzelnen Arten ihrer Verwirklichung und Befriedi­gung, wie es zugleich, als nur formell unendliches, an diesen Inhalt, als die Bestimmun­gen seiner Natur und seiner äußeren Wirklichkeit, jedoch als unbestimmtes nicht an diesen oder jenen Inhalt, gebunden ist (§ 6, 11). Derselbe ist insofern für die Reflexion des Ich in sich nur ein Möglicher, als der meinige zu sein oder auch nicht, und Ich die Möglichkeit, mich zu diesem oder einem andern zu bestimmen, – unter diesen für das­selbe nach dieser Seite äußeren Bestimmungen zu wählen.

HGG/WAK-Debatte/Hegel (last edited 2007-05-25 10:50:10 by HGG)

Creative Commons License
Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Lizenz (Details).
Alle Seiten sind geschützt bis du dich anmeldest