Diskussion

Der Begriff der "Arbeit" bei Holzkamp

Klaus_Holzkamp hat 1983 ein fundamentales Werk mit paradigmatischem Anspruch vorgelegt, die "[Grundlegung der Psychologie]" (kurz: GdP). In dem Buch wird die historische Entwicklungsgeschichte des Psychischen rekonstruiert. In diesem Kontext geht es auch um den Begriff der "Arbeit", der logisch-systematisch dargelegt wird. Um ihn in seiner systematischen Einordnung angemessen darstellen zu können, wäre eine Wiedergabe der Entfaltungsschritte des Buchs erforderlich, was aber den Rahmen dieses Textes sprengen würde. Ich kann mich also nur auf einige Eckpunkte konzentrieren.

Bezugsebenen als Diskursebenen

Wesentlich für das Verständnis der Vorgehensweise in der GdP sind die methodologischen Vorbemerkungen. Holzkamp unterscheidet vier sog. "Bezugsebenen" der Analyse: * philosophische Ebene * gesellschaftstheoretische Ebene * kategoriale Ebene * einzeltheoretische Ebene

Holzkamp betont, dass eine "Klärung von Streitfragen im Sinne des Wissenschaftsfortschritts auf einer bestimmten Ebene nur möglich sind unter Voraussetzung des konzeptionellen und methodischen bzw. methodologischen Konsenses auf der jeweils nächsthöheren Ebene" (29), da anderenfalls "notwendig aneinander vorbei" (30) geredet werde. Der Beitrag der GdP liegt auf der kategorialen Ebene, also der Entfaltung jener Grundbegriffe, die den Gegenstand des Psychischen erfordern und die mithin den psychologischen Einzeltheorien vorausgesetzt sind. Das bedeutet auch, dass die philosophischen und gesellschaftstheoretische Ebene nicht entfaltet und nur dort kurz referiert werden, wo es im Gang der begrifflichen Rekonstruktion der historischen Entwicklung des Psychischen erforderlich ist. Grundlagen sind hier die materialistische Dialektik und der historische Materialismus, wie sie seinerzeit vom traditionellen Marxismus vertreten wurden.

Die Struktur der GdP

Das Buch teilt sich grob in vier Abschnitte. Nach der Darstellung der Vorgehensweise befassen sich die Kapitel 2 bis 7 mit der Herausbildung der gesellschaftlichen Natur des Menschen - beginnend bei den elementaren Vor- und Frühformen des Psychischen. Kapitel 8 widmet sich mit der Individualentwicklung (Ontogenese) und Kapitel 9 mit Grundlagen für die empirische Forschung. Die hier interessierenden Kapitel 2 bis 7 wiederum können entlang der begrifflichen Entfaltung des Gegenstands in zwei große Bereiche gegliedert werden. Die Kapitel 2 bis 4 befassen sich mit der Psychophylogenese, also der Herausbildung und Differenzierung des Psychischen in der Evolution. Die Kapitel 6 und 7 befassen sich mit der kategorialen Differenzierung des Psychischen unter den Bedingungen der gesellschaftlichhistorischen Entwicklung. Das "Mittelkapitel" 5 schließlich beschreibt den Übergang von der Dominanz der Psychophylogenese zur Dominanz der gesellschaftlich-historischen Entwicklung als Prozess der "Selbstaufhebung". Hier wird im engeren Sinne die Frage beantwortet, wie ein Entwicklungsprinzip (das der biotischen Evolution) durch ein anderes (das der Menschheitsgeschichte) abgelöst werden konnte. Diese Phase des qualitativen Übergangs von der Phylogenese zur Gesellschaftsgeschichte, also die Herausbildung der gesellschaftlichen Natur des Menschen, ist für die Fragestellung dieses Artikels - dem Arbeitsbegriff bei Holzkamp - die wesentliche, da Gesellschaftlichkeit und "Arbeit" eng verbunden sind.

Das Fünfschrittmodell qualitativer Entwicklungstufen

Die Rede vom "qualitativen Übergang" oder der "Aufhebung" verweist auf erkenntnistheoretische Grundlagen, die kurz erläutert werden sollen. In der GdP gewinnt Holzkamp aus der Analyse am realhistorischen Material eine methodische Verallgemeinerung, die er selbst als "methodische Konkretisierung des dialektischen Grundgesetzes des 'Umschlags von Quantität in Qualität'" (78, Seitenangaben aus GdP) bezeichnet. Die gewonnene "methodische Leitlinie" (78) wurde nun wiederum im Kontext gesellschaftstheoretischer Debatten um den Begriff "Keimform" (u.a. im Oekonux-Projekt) zum "Fünfschrittmodell" verallgemeinert. Die fünf Schritte sind:

1.) Entstehung der Keimform: Alles, was es selbstverständlich und allgegenwärtig gibt, ist irgendwann einmal etwas Neues, ganz und gar nicht Selbstverständliches gewesen. Über mehrere Schritte hat sich das Neue schließlich durchgesetzt. Dieses Neue, das später einmal Altes sein wird, nennt man Keimform. Keimformen können in Nischen und Sonderbereichen entstehen. Sie leben vom und im Alten, besitzen aber schon Formen des Neuen.

2.) Krise der alten Form: Keimformen erlangen nur Bedeutung, wenn das Alte in die Krise gerät. Das Alte kann im Wesentlichen aus zwei Gründen in die Krise geraten. Zum einen können sich äußere Bedingungen so dramatisch oder so schnell verändern, daß das alte Prinzip darauf nicht mehr angemessen reagieren kann. Zum anderen kann sich das Alte selbst erschöpft haben, wenn alle Entwicklungspotenzen ausgereizt sind. Stagnation wäre eine Reaktionsweise, Zerfall eine andere.

3.) Funktionswechsel - Keimform wird zur wichtigen Entwicklungsdimension: Unter den Bedingungen der Krise des Alten kann die Keimform eine neue Funktion erlangen, die Nischen verlassen und sich quantitativ ausbreiten. Sie wird zu einer wichtigen Entwicklungsdimension innerhalb der noch dominanten alten Form. Diese Etablierung der Keimform kann zwei Richtungen einschlagen: Sie führt zur Integration in das Alte und zur Übernahme der alten Prinzipien, oder die Keimform behauptet sich auf Grund der neuen Prinzipien immer besser im und neben dem Alten. Im ersten Fall geht der Keimform-Charakter verloren, im zweiten Fall wird das Neue gestärkt. Das Alte kann in beiden Fällen von einer integrierten oder gestärkten Keimform profitieren und Krisenerscheinungen abmildern.

4.) Dominanzwechsel - Keimform wird zur bestimmenden Größe: Die frühere minoritäre Keimform wird zur dominanten Form der Entwicklung. Das Neue setzt sich durch, weil es hinsichtlich einer wichtigen Dimension des Gesamtprozesses besser ist. Damit endet der Keimform-Charakter des Neuen. Nun sind seine Prinzipien bestimmend und verdrängen nach und nach oder auch schlagartig die überkommenen, nicht mehr funktionalen Prinzipien des Alten. Das Neue wird das selbstverständliche Allgegenwärtige.

5.) Umstrukturierung des Gesamtprozesses: Schließlich strukturieren sich alle Aspekte des Gesamtprozesses in Bezug auf das bestimmende, jetzt selbstverständliche Neue hin um. Das betrifft vor allem auch solche Prozesse, die im Gesamtprozeß nicht bestimmend, sondern nur abgeleitet sind. Mit diesem Schritt ist nun potentiell wieder der erste Schritt eines neuen Fünfschrittes erreicht: Keimformen können auftreten, das dann alte Neue gerät in die Krise usw.

Von sozialer Werkzeugherstellung zu gesellschaftlicher Arbeit

Der erste qualitative Schritt auf dem Entwicklungsweg hin zum Menschen noch unter Dominanz der Phylogenese ist der Funktionswechsel von Mittel (Werkzeug i.w.S.) und Zweck (Nahrungserwerb): Das Mittel wird nun nicht mehr nur für einen singulären Zweck zugerichtet, sondern das Mittel wird für den möglichen Fall, dass zukünftig ein Zweck zu erreichen sein wird, hergestellt. Verlor vor dem Funktionswechsel das Mittel nach Erreichung des Zweckes seine Bedeutung und wurde gleichsam wieder indifferente artspezifische "Umwelt", so wird nach dem Funktionswechsel die Bedeutung getrennt von der Ausführung der singulären Zweckerreichung als verallgemeierte Bedeutung im Mittel vergegenständlicht. Diese Werkzeugherstellung erfolgt im Sozialverband für den nun verallgemeinerten Zweck der kollektiven Vorsorge zur Verringerung künftiger Mangelsituationen der Sozietät.

Da weiterhin die phylogenische Entwicklung dominiert, wirken alle Optimierungen der sozialen Werkzeugherstellung zur kollektiv-vorsorgenden Lebenserhaltung auf die genomische Information zurück und werden in der Evolution kumuliert. Holzkamp:

Durch die gegenständliche Fixierung praktischen Veränderungswissens "in" den Werkzeugen, kommt es nun zu einer im Vergleich zur tierischen Traditionsbildung völlig neuen Qualität der gesellschaftlichen Erfahrungskumulation. Die Fähigkeit zur gesellschaftlichen Organisation der Lebensgewinnung wird zur biologischen Funktionsgrundlage des Menschen - die Rede von der gesellschaftlichen Natur des Menschen ist also wörtlich und keinesfalls nur metaphorisch gemeint: Der Menschen ist (als einziges Lebewesen) biologisch fähig, sich zu vergesellschaften. Die Dominanz der gesellschaftlich-historischen über die phylogenetischen Entwicklungsprinzipien ist dann erreicht, wenn "das Prinzip der natürlichen Selektion als Entwicklungsfaktor gegenüber der Optimierung verallgemeinerter gesellschaftlicher Vorsorge durch Arbeit immer mehr zurücktritt" (181), so dass der Mensch sein Leben nicht mehr anders als gesellschaftlich erhalten kann und schließlich der "Prozeß der selektionsbedingten organismischen Merkmalsveränderungen schon durch die vergleichsweise unendliche Langsamkeit faktisch bedeutungslos" (181) wurde. Realhistorisch ist der Dominanzwechsel verbunden mit dem Übergang von der Okkuptions- zur Produktionswirtschaft: Das Leben wird nun gesellschaftlich verallgemeinert-vorsorgend hergestellt, die innergesellschaftlichen Gesetze bestimmen die historische Entwicklung.

Arbeit und Handlung

Die gegenständlichen und später auch symbolischen (Sprache) Bedeutungen bilden einen gesamtgesellschaftlichen Verweisungszusammenhang, "in dem sich die Notwendigkeiten arbeitsteiliger gesamtgesellschaftlicher Lebensgewinnung ausdrücken" (234), auf den sich jedes Individuum bezieht. Um dem

Für Holzkamp ist also "Handlung" die fundamentale Kategorie, und ihm zufolge

Literatur

Holzkamp, Klaus (1983), Grundlegung der Psychologie, Frankfurt/M.: Campus.


Test

Huetten06/Protokolle/ArbeitUndHandlung/Holzkamp (last edited 2006-08-01 18:53:36 by StefanMerten)

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