Ich führe mit Wolfgang Schallehn (Leipzig) eine Diskussion über die generellen Fragen, die auch im Oekonux-Kontext diskutiert werden. Deshalb packe ich mal ein Kondensat der Diskussion zum Weiterschreiben hierher.

Diskussion mit Wolfgang Schallehn

Notwendigkeit eines neuen Arbeitsbegriffs

Deine Ankündigung habe ich mit großem Interesse gelesen. Ich will Dir aber gleich ehrlich sagen, dass mir Dein bzw. Euer Blickfeld zu sehr auf die "Arbeit des Forschers(im weitesten Sinne)" fokussiert scheint. -- WS 0401

Unser gemeinsames Anliegen ist wohl zu klären, was "aktives Leben" im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung bedeutet. Dein Beispiel des "Professor Dachdecker" hinkt insofern, als dieser seine ganze Kreativität darauf verwenden muss, (auf Grundlage von Vorgaben!) vereinbarten(!) Regeln und Mustern zu folgen. -- WS 0601

Ich bin der festen Überzeugung, dass auch "new work" für die weit überwiegende Mehrheit der Menschen bedeutet, die Befriedigung in einer Arbeit im Rahmen von Regeln und Mustern zu finden. Und nach wie vor wird nur für eine Minderheit die Arbeit darin bestehen, diese Regeln und Muster in Frage zu stellen und weiter zu entwickeln. (Demonstrative Regelfeindlichkeit erscheint mir als von den Göttern als Strafe verhängte Blindheit!) -- WS 0601

Unterschiedliche Arbeitstypen

New Work müsste jedoch m.E. von vornherein auf wesentlich unterschiedliche Typen von Arbeit differenziert werden, z.B.:

Menschentypen und Arbeitstypen

Andererseits braucht New Work ein differenziertes Menschenbild. Nicht einmal ein Ameisenvolk könnte existieren, wenn alle Ameisen gleich wären. New Work müsste also auch eine "menschenwürdige" Zuordnung aller "Menschentypen" zu den Arbeitstypen leisten. Eine Typisierung der Menschen hinsichtlich ihrer Beziehung zur Arbeit scheint zunächst sehr "kompliziert", ist aber hoffentlich letztlich "einfach". Die tiefste Weisheit ist uralt: es kommt auf das Verhältnis von Ying und Yang an, also das Verhältnis von Erhaltendem und Veränderndem - im Individuum wie im Ganzen:

Eine ganz große Frage ist vermutlich auch, ob die Arbeitstypen (forschende, politische, konstruktive, erhaltende) so "einfach" auf die "Arbeit am Menschen" bezogen werden können, oder ob dazu mehr notwendig ist. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass die Entwicklungspsychologie als Grundlegung in genau dieser Weise integriert wird. -- WS 0401

Tendenz zur "Entmenschlichung durch Nichtarbeit"?

Diese Debatte hat Bezug zu meinen Ausführungen im OT-Projekt http://www.opentheory.org/mtb-snw, insbesondere zur Frage, dass ich dort die Rechtfertigung eines bedingungslosen Grundeinkommens (u.a.) aus der "potenziellen Nützlichkeit" jedes Menschen ableite. Die Stelle bei OT lautet so: -- HGG

Die ganze Brisanz des Themas New Work wird vielleicht am besten am Bild "Der Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen" deutlich. Müssen wir nicht eine Tendenz zur "Entmenschlichung durch Nichtarbeit" konstatieren? Gibt es nicht erschreckende Deformationen von Persönlichkeiten, sei die Nichtarbeit nun durch Mangel an Arbeit oder durch Überfluss an Gütern begründet? Als fatalste Tendenz der Gegenwart erscheint mir, dass die "Selbstverwirklichung" eigentlich nur noch "weg von der Arbeit" propagiert wird. Die "Nullbockgeneration" ist eine größere Gefahr für die menschliche Zivilisation als alle Tsunamis und Ozonlöcher und AKWs zusammen. -- WS 0401

Verhältnis von Arbeit und Eigentum

Eine weitere wichtige Frage ist die nach dem Verhältnis von Arbeit und Eigentum. Ich gehe voll mit, dass die Frage des geistigen Eigentums eine höchstwichtige Aktualität hat. Aber auch hier würde ich weiter gehen. Das bürgerliche Privateigentum an Produktionsmitteln bedeutete ursprünglich einen gewaltigen Fortschritt für die ganze Gesellschaft. Heute ist es zu einem System "leistungsloser Aneignung" verkommen. Dies kann, davon bin ich fest überzeugt, nur durch eine adäquat hochentwickelte Kultur der politischen Arbeit überwunden werden. -- WS 0401

Machbarkeitswahn

Die tiefste Weisheit ist uralt: es kommt auf das Verhältnis von Ying und Yang an, also das Verhältnis von Erhaltendem und Veränderndem - im Individuum wie im Ganzen. -- WS 0401

Du kritisierst anfangs einen "Machbarkeitswahn", und priorisierst(!) am Ende das "gemeinsame gestalten". Da passt wohl was nicht zusammen. Zwischendurch beziehst Du Dich auf den "natürlichen Lauf der Dinge". Darin finde ich bestätigt, dass Du mir schon mehrfach etwas fatalistisch eingestellt erschienst - wie übrigens auch das Potsdamer Manifest. -- WS 0601

Ich bin schnell mit Dir einig, wenn Dein "gemeinsames Gestalten" im Gleichgewicht mit dem "gemeinsamen Erhalten" gesehen wird. -- WS 0601

Machbarkeit menschlicher Selbstzerstörung. Was können/sollen wir tun?

Diesem Fatalismus werfe ich vor, dass er der Machbarkeit menschlicher Selbstzerstörung (die sehr real voranschreitet) nichts entgegensetzt, und die Machbarkeit menschlicher Selbsterhaltung (die eine problemreiche Aufgabe ist) diffamiert und behindert! -- WS 0601

Ein "erhaltendes Gestalten" ist sicher sehr anstrengend. Aber mir scheint unübersehbar, dass die Menschheit an einem Verzweigungspunkt angekommen ist. Entweder, sie fügt sich in den "natürlichen Lauf der Dinge" - dann droht das profitdominierte Wirtschaften zu einem Kollaps zu führen, wo nur noch die Frage ist, um wie viele Tausend(!) Jahre nun erstmals die gesamte Menschheit zurückgeworfen wird (Bisher betraf dies nur begrenzte "Weltreiche"). Oder eben: es gelingt, die menschlichen Fähigkeiten für die Erhaltung der menschlichen Zivilisation zu nutzen... Wenn die Menschheit für den dazu nötigen Kraftakt nicht fähig oder zu feige ist, dann hat der Fatalismus schließlich Recht. -- WS 0601

Zunächst völlige Übereinstimmung zum ersten Satz. Auch mag klärungsbedürftig sein, ob das Wort "Kraftakt" hier richtig ist. Aber dass ein solcher "schlussendlich auch diktatorisch" sein müsse?? Das Wort "diktatorisch" scheint mir in Bezug auf "Kraftakt" noch klärungsbedürftiger... - WS 2601

Tue ich Dir unrecht, wenn ich Deine Position als "Beobachterposition" empfinde, die in den "natürlichen Entwicklungen" nach hoffnunggebenden Erscheinungen sucht, sich jedoch scheut, darein "von außen" einzugreifen? Ich fühle mich immer "mittendrin". -- WS 0801

Für mich ist selbstverständlich, dass zur menschlichen Zivilisation eine "Entwicklungslinie" gehört, die die menschlichen Fähigkeiten für ein dauerhaft menschenwürdiges Leben aller Menschen nutzt. Bisher hat die Menschheit für die Experimente dieser Entwicklungslinie ungeheuer viel Lehrgeld bezahlt. Ich sehe noch eine kleine Chance, mit diesem Lehrgeld den globalen Supergau der Menschheit zu verhindern... -- WS 0801

Wie sind denn diese Entwicklungslinien definiert, wie sind sie abgrenzbar? Weil ich dies nicht sehe, kann ich mit Deinem "Innen" und "Außen" der Entwicklungslinien nichts anfangen. Denn allgemeine Entwicklungslinien wie "Manchesterkapitalismus" oder "demokratischer Sozialismus" enthalten viele spezielle Entwicklungslinien. Und als spezielle Entwicklungslinie fallen mir dann immer die englischen Börsenhaie ein, die (wenn ich mich recht erinnere, nach einem Spiegelbericht aus dem vorigen Jahrtausend) jeden Tag nur noch danach als gut oder schlecht bewerten, ob ihr Kontostand an diesem Tag um mehr oder weniger als eine Million Pfund angewachsen ist. -- WS 2601

Eine solche Entwicklungslinie schirmt sich gegen Einflüsse "von außen" maximal ab, greift aber selbst in viele soziale, wirtschaftliche, kulturelle Entwicklungslinien massiv ein. -- WS 2601

Derartige Entwicklungslinien sind insofern "natürlich", dass sie den "Kampf ums Dasein (der Individuen)" auf die Spitze treiben. Andererseits sind sie "naturwidrig", weil sie die Existenz der Population bedrohen, insofern also typisches Krebswachstum darstellen. -- WS 2601

Ich halte es für "natürlich", dass die Menschheit eine "arterhaltende" Entwicklungslinie entwickelt. Diese Entwicklungslinie muss eine Kultur (des Umganges miteinander und mit anderen, dort lag das tödliche Defizit des realen Kommunismus)) entwickeln, die der des heutigen Establishments überzeugend überlegen ist. -- WS 2601

Diese arterhaltende Entwicklungslinie darf sich selbstverständlich nicht scheuen, in zivilisationszerstörende Entwicklungslinien einzugreifen. Zweifellos wird sie von ihren Gegnern als "diktatorisch" diffamiert werden, obwohl sie höchst demokratisch und kulturvoll agiert... -- WS 2601

Über das eigentliche Problem sind wir uns sicher rasch einig: es mangelt an einer überzeugenden Alternative zur kapitaldominierten Entwicklungslinie. Ich sehe den wichtigsten Ansatz dazu in einer zeitgemäßen, den heutigen Produktivkräften adäquaten "Politkultur". Und deren Kern wiederum sehe ich in einer wohlstrukturierten konstruktiven Streitkultur. -- WS 0801

Verzweigungspunkt der Entwicklung der Menschheit

Mir scheint unübersehbar, dass die Menschheit an einem Verzweigungspunkt angekommen ist. -- WS 0601

HGG/WolfgangSchallehn (last edited 2006-02-22 10:58:36 by HGG)

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